Als promovierter Historiker sind ihm natürlich jede Menge Geschichtsdaten absolut vertraut, doch an diesem Nachmittag sollen möglichst viele verschiedene Sinne angesprochen werden, nüchterne Aneinanderreihung von Zahlen sind dabei tabu.
„Die Bleckkirche ist die Keimzelle des Protestantismus in Gelsenkirchen. Erkunden Sie diese Kirche doch zunächst einmal bei einem Rundgang um das komplette Gebäude herum. Schauen Sie sich die Außenwände an. Vielleicht fallen Ihnen dabei schon einige Besonderheiten auf.“ Hoffmann, der nach Ende seines aktiven Arbeitslebens eine Ausbildung zum Kirchenpädagogen absolvierte, freut sich, wenn jeder Teilnehmer einen eigenen Zugang zu dieser Kirche bekommt. Neugierig macht sich das kleine Grüppchen auf den Rundgang.
„Der hintere Anbau ist anders, der scheint neuer zu sein“, so eine Rückmeldung. „Und der Turm sieht auch angebaut aus“, fällt einer weiteren Besucherin auf.
„Tatsächlich wurde das Mittelschiff 1735 erbaut, als eine reine Saalkirche, alles andere kam später dazu“, erläutert Hoffmann. Dann geht es hinein ins Innere. „Aber bitte treten Sie einzeln ein, nehmen Sie zunächst einmal den Geruch, die besondere Atmosphäre im Innern wahr.“ Draußen trubelig, drinnen sakrale Ruhe. Dieser Gegensatz fällt an diesem Tag ganz besonders auf: „Dass es hier drinnen feucht ist, hab ich beim Eintreten sofort wahrgenommen. Der Kirchenraum hat auf mich eine ganz besondere Wirkung.“ Drinnen versammeln sich alle unter dem Radleuchter. Nach einigen Erläuterungen zur Geschichte und zur damaligen Umgebung der Bleckkirche darf sich jede und jeder ein Teelicht nehmen und seinen oder ihren Lieblingsplatz im Kirchenschiff suchen. Nach einiger Zeit läutet der Kirchenpädagoge ein kleines Glöckchen, alle kommen wieder unter dem großen Leuchter zusammen.
„Mein Lieblingsplatz ist bei der Orgel.“ / „Ich habe das Presbytergestühl im Altarraum gewählt.“ Wieder ein anderer hat sein Licht beim Altar abgestellt.
„Das ist hier in der Kirche tatsächlich etwas ganz Besonderes. Während die Kirche selbst 1735 erbaut wurde, datiert dieser Altar auf das Jahr 1574. Wie kann das sein? Der Altar ist älter als das Gebäude!“ Nun sind doch einige Zahlen und Geschichtsfakten angebracht, um die Herkunft dieses Steinaltars, der ursprünglich für die Schlosskapelle des Schlosses Grimberg geschaffen wurde, zu beleuchten.
„Sehen Sie sich die Figuren einmal genau an. Fällt Ihnen etwas auf an dieser Abendmahlsszene?“ Wieder schickt Hoffmann die Besucher auf eine kleine Forschungsreise. Statt Brot und Wein werden Fleischgerichte auf dem dargestellten Tisch entdeckt. Und große Servietten, die die Herren hier um den Hals geschlungen tragen. Dies ist eine Darstellung des westfälischen Abendmahls, wie es zur Zeit der Entstehung unter Adeligen hier in der Gegend üblich war.
Und unter dem Relief des Abendmahls entdecken die Besucher am Altar die niederdeutsche Inschrift der Einsetzungsworte Jesu aus dem 1. Korintherbrief des Paulus, für die meisten kaum zu entziffern. Doch der Kirchenführer hat vorgesorgt und eine lesbare Textvariante mitgebracht.
„Das Besondere an solch einer Führung ist für mich, dass möglichst alle Sinne angesprochen werden, also, wie riecht es im Innern, wie sieht die Kirche von außen aus, was gibt es an Besonderheiten zu entdecken, die es nur hier gibt.“ Kirchenführer Hoffmann mag besonders, dass man sich so dem Gebäude mal auf eine neue Art nähern kann.
Auch die Besucher und Besucherinnen an diesem Nachmittag sind begeistert. Vielleicht wird ja bald auch in anderen Kirchen solch eine besondere Führung angeboten.
Wer neugierig geworden ist: Die Bleckkirche ist ab sofort bis Ende September an jedem Sonntagnachmittag von 15.00 bis 17.00 Uhr für Besucher geöffnet, für ein Innehalten, vielleicht ein stilles Gebet, um dem Gewusel draußen einmal kurz zu entkommen, oder um das besondere Kleinod, den Grimberger Altar, in Ruhe zu betrachten.
Textautorin: Frauke Haardt-Radzik
Fotos: Cornelia Fischer