Von Westen nach Osten und umgekehrt

Zur Situation der rumänischen Roma – Erfahrungen einer Studienreise nach Rumänien

Roma Familien und ihre Wohnhäuser im siebenbürgischen Dorf Ziegental, ohne Zugang zu Elektrizität und fließendem Wasser. FOTO: TABEA HÖCKER

Roma Familien und ihre Wohnhäuser im siebenbürgischen Dorf Ziegental, ohne Zugang zu Elektrizität und fließendem Wasser. FOTO: TABEA HÖCKER

GELSENKIRCHEN – Als aufsuchende Sozialarbeiterinnen haben wir in den vergangenen zehn Monaten rumänische und bulgarische Menschen kennengelernt. Im Rahmen der „Aufsuchenden Sozialberatung für Zuwanderinnen und Zuwanderer der EU-Osterweiterung aus Bulgarien und Rumänien“, ein Gemeinschaftsprojekt der AWO und des Diakoniewerks Gelsenkirchen und Wattenscheid e.V., Beratungsdienste, gehen wir auf die Zuwanderer zu, um sie in ihrem Alltag zu unterstützen. 

Gründe für Migration verstehen

Viele von ihnen sind Roma, die einen weiten Weg hinter sich haben, bevor sie in Gelsenkirchen ankommen. Ihre Motive, die Heimat zu verlassen, sind vielfältig: Armut, Perspektivlosigkeit, soziale Ausgrenzung. Um besser zu verstehen, warum Menschen ihr Heimatland verlassen, nahmen wir drei Mitarbeiterinnen der Beratungsdienste, Heike Lorenz, Mioara Boboc und Tabea Höcker, an einer siebentägigen Studienfahrt nach Rumänien teil. Unsere Gruppe bestand aus zwölf Fachkräften aus der Arbeit mit Zugewanderten und dem Reiseleiter. Die Studienreise führte uns von Dortmund über Cluj, Sighişoara und Sibiu in Siebenbürgen weiter nach Timişoara ins Banat im Westen Rumäniens.

Die Bevölkerungsgruppe der Roma ist heterogen

Wir sprachen mit den Vertretern von Stiftungen, Einrichtungen und NGOs und besuchten das Ethnocultural Diversity Resource Center in Cluj, das Interethnische Jugendzentrum in Sighişoara und das Interkulturelle Zentrum in Timişoara. Wir trafen sogar den politischen Berater des Roma Königs Cioabă in der evangelischen Akademie in Sibiu. Nach seiner Aussage repräsentiert dieser 500.000 rumänische Roma, von denen die meisten sich zu den Kesselflicker-Roma zählen. Es wurde deutlich, dass sich innerhalb der sehr heterogenen Gruppe der Roma keine gemeinsame Identität entwickelt hat. Sehr beeindruckt hat uns der Besuch bei dem österreichischen Hilfsprojekt Elijah im siebenbürgischen Dorf Ziegental. Hier leben Roma in extremer Armut und haben weder Zugang zu fließendem Wasser noch zu Elektrizität. Das Projekt bietet ihnen die Möglichkeit, ihr Leben in Eigenverantwortung zu entwickeln. Demgegenüber haben wir in Recaş bei Timişoara Villen von rumänischen Roma gesehen, die als Sommerdomizil ihrer im Ausland lebenden Besitzern genutzt werden. Diese sehr gegensätzlichen Erlebnisse verdeutlichen die innere Zerrissenheit zwischen den Roma-Gruppen, den fehlenden politischen Willen einer gemeinsamen Organisation, sowie die ausgeprägten Abhängigkeitsstrukturen und Ausbeutungsmechanismen. 

Aufsuchende Sozialarbeit wichtig für Gelsenkirchen

Nachdenklich stimmte uns der Besuch in Viscri/Deutsch-Weißkirch, einem Dorf, das im 12. Jahrhundert von Siebenbürgischen Sachsen gegründet wurde. Inzwischen leben dort nur noch 15 meist ältere Siebenbürger Sachsen, während der Großteil der 450 Bewohner Rumänen und rumänische Roma sind. In den Gesprächen stellte sich heraus, dass die Menschen ein friedliches Nebeneinander leben, jedoch weit entfernt von einem wirklichen Miteinander sind. Wir haben ein sehr differenziertes Bild zur Situation der rumänischen Roma erhalten. Für unsere Arbeit in Gelsenkirchen ist deutlich geworden: Mit unserem partizipatorischen Ansatz in der aufsuchenden Arbeit sind wir auf dem richtigen Weg. Nur gerechte und gleichberechtigte Teilhabeprozesse, in denen wir die rumänischen und bulgarischen Zuwanderer in Gelsenkirchen ernst nehmen, bieten die Chance für eine erfolgreiche Integration.