Vertraute Texte neu hören und bedenken

Interview zur „Bibel in gerechter Sprache“

GELSENKIRCHEN – Am Reformationstag 2006 wurde sie offiziell in einem Festgottesdienst eingeführt – die „Bibel in gerechter Sprache“. Mehr als fünf Jahre lagen zwischen der Idee zu der neuen Übersetzung und ihrer Realisierung. Zahlreiche Theologinnen und Theologen sowie Sprachwissenschaftler und Sprachwissenschaftlerinnen haben unentgeltlich an den Texten gearbeitet. Eine Spendenbeauftragte hat die Finanzierung mit phantasievollen Aktionen unterstützt, so dass der Preis mit 24,95 Euro niedrig gehalten werden konnte. Der Erfolg gibt allen Beteiligten schon wenige Wochen nach der Vorstellung des Werkes auf der Frankfurter Buchmesse im Herbst des letzten Jahres Recht: Mittlerweile ist auch die zweite Auflage praktisch vergriffen; im Februar kommt bereits die dritte Auflage in den Verkauf. Pfarrer Arnd Röbbelen sprach mit der Frauenreferentin des Kirchenkreises Gelsenkirchen und Wattenscheid, Pfarrerin Antje Röckemann, über die „Bibel in gerechter Sprache“.

 

Antje Röckemann, was ist an der Sprache der neuen Bibelausgabe „gerecht“?

Röckemann: Gerechtigkeit ist ein zentrales Thema der Bibel. Dieses Thema ist auch inhaltliches Motto und Kriterium der Übersetzung. Das heißt: Sie möchte den biblischen Ursprachen Hebräisch und Griechisch möglichst genau gerecht werden. Sie bemüht sich um Gerechtigkeit gegenüber den Geschlechtern und um Sensibilität für das christlich-jüdische Gespräch. Außerdem gilt ein besonderes Augenmerk den sozialen Gegebenheiten in der biblischen Zeit.

 

Warum war aus Ihrer Sicht eine neue Übersetzung überhaupt erforderlich?

Ich meine, dass die Bibel immer wieder in die Sprache der jeweiligen Zeit übertragen werden muss. Nicht umsonst ist auch das, was wir als „Lutherübersetzung“ bezeichnen, seit dem 16. Jahrhundert immer wieder überarbeitet worden. Die Übertragung in eine zeitgemäße Sprache fördert das Verständnis und kann die Augen öffnen für neue Zugänge zu den alten Texten.

 

Können Sie dafür ein Beispiel geben?

Eine meiner Lieblingstexte bei Paulus ist Römer 12, wo es um den einen Geist und die vielen Gaben geht. In der Lutherübersetzung geht der Abschnitt los mit „Ich ermahne euch, liebe Brüder!“ Das Ergebnis der neuen Übersetzung liest sich ganz anders: „Ich ermutige euch, liebe Geschwister!“ heißt es hier. Diese ebenfalls mögliche Übersetzung droht den Angesprochenen nicht, sondern setzt Vertrauen in ihre Fähigkeiten voraus. Nach meiner Überzeugung ist das viel eher mit der Theologie des Apostels vereinbar als die eher schroffe Einleitung aus der Lutherbibel.

 

Arbeiten Sie bereits mit der neuen Bibelübersetzung?

Ich selbst lese oft und viel in der „Bibel in gerechter Sprache“. Die neue Übersetzung gibt mir die Möglichkeit, vertraute Texte neu zu hören und zu bedenken. Es hilft mir zum Verständnis schwieriger Stellen, dass vor allem uneindeutige Begriffe aus dem Urtext werden benannt und in einem Glossar erläutert werden. Das ermöglicht auch Nichttheologinnen und -theologen eine intensivere Beschäftigung mit biblischen Texten – und ist es nicht das, was Martin Luther wollte: Dass die Mündigkeit der Gemeinden im Umgang mit der Schrift stets gefördert wird?

 

Trotz der von Ihnen genannten Vorzüge der „Bibel in gerechter Sprache“ gibt es auch Kritik an dem Projekt. Welche Argumente führen die kritischen Stimmen an?

Es sind in der Hauptsache zwei Argumente, die immer wieder vorgebracht werden. Das erste betrifft die Nennung von „Jüngerinnen“ im Text der neuen Übersetzung. Das sei eine Verfälschung des ursprünglichen Wortlautes und der damaligen Verhältnisse. Dem ist aus meiner Sicht zu erwidern, dass beispielsweise bei der Bezeichnung „Brüder“ die „Schwestern“ mitgemeint sind. Im Übrigen ist in Lukas 8,2 ausdrücklich von Frauen die Rede, die Jesus begleitet haben.

Als zweites Bedenken wird der Umgang mit dem Gottesnamen in der neuen Übersetzung vorgetragen. Dazu muss man wissen, dass der Gottesname JHWH aus der Hebräischen Bibel seit biblischer Zeit nicht ausgesprochen wird und auch nicht eindeutig übersetzbar ist. Zu allen Zeiten haben sich Übersetzer mit Ersatzworten geholfen – Luther mit „Der HERR“, Mendelssohn mit „Der Ewige“ oder Buber/ Rosenzweig je nach Satzposition mit den Pronomen DU/ICH/ER. Das Übersetzungsteam der „Bibel in gerechter Sprache“ hat weitere Ersatzworte für den Gottesnamen eingesetzt – auch weibliche, wie z.B. „Die Ewige“. Daran scheinen sich die Kritiker besonders zu stoßen. Ich erinnere in diesem Zusammenhang an eine Stelle aus dem Buch des Propheten Hosea (11,9), wo es heißt: „Gott bin ich und kein Mann.“

 

Wie beurteilen Sie abschließend die Arbeit der Übersetzerinnen und Übersetzer?

Ich halte die „Bibel in gerechter Sprache“ für das Ergebnis eines absolut gelungenen Experiments. Ich möchte den Leserinnen und Lesern empfehlen, sie zu kaufen und viel darin zu lesen – es lohnt sich!