Gelsenkirchen – Am 5. September wurde die Ausstellung wieder abgebaut. Bis dahin stand die Rosenstraße 76 – eine gewöhnliche Drei-Zimmer-Wohnung – in der Christuskirche in Buer-Beckhausen und war zu besichtigen. Eine ganz normale Wohnung, in der gezeigt wurde, wie „ganz normal“ Gewalt in den eigenen vier Wänden sein kann. Zusammengefegte kaputte Teller, die Sprüche auf dem Anrufbeantworter und manche Kleinigkeiten verwiesen auf die Alltäglichkeit von häuslicher Gewalt, die auch in unserer Nachbarschaft, vielleicht in der eigenen Wohnung, Frauen, Kinder, aber auch Männer erleiden.
Es ist immer noch ein Tabu, darüber zu sprechen und sich Hilfe zu holen, das wollte die Ausstellung ändern. „Es sind ungefähr 1.500 Menschen in die Ausstellung oder die Veranstaltungen gekommen“, erklärte die verantwortliche Ökumene-Pfarrerin Erika Bogatzki. „Viele Menschen haben sich an Gewalterfahrungen aus früherer Zeit erinnert, viele haben auch Informationsmaterial über Hilfemöglichkeiten in einem unbeobachteten Moment eingesteckt.“
Die Veranstaltungen, die während der zweieinhalbwöchigen Ausstellungsdauer angeboten wurden, gingen den Fragen nach, woher die Gewalt kommt und was zu ihrer Überwindung getan werden kann. Die theologischen Hintergründe wurden in der Podiumsdiskussion am 25. August von drei Theologinnen aus drei Religionen angesprochen. „Häusliche Gewalt gibt es nicht nur in christlichen Familien, sondern natürlich auch in muslimischen und jüdischen Wohnungen“, erklärte Pfarrerin Antje Röckemann, die den Abend gemeinsam mit der Theologin Nigar Yardim moderierte.
Dr. Britta Jüngst, Pfarrerin im Frauenreferat unserer Landeskirche verwies auf die lange christliche Tradition der Frauenverachtung und die Hierarchien zwischen Männer und Frauen, die auch schon in unseren Schriften anklängen. Diese Traditionen müssten kritisch hinterfragt werden. Auch die Judaistin Dr. Rachel Herweg erläuterte, dass alle drei Religionen in einer patriarchalen Zeit entstanden seien, und dass Frauen in biblischer Zeit ganz klar abhängig von ihrem Vater oder Ehemann gewesen seien. Gleichzeitig gäbe es aber auch andere Traditionen; so wurde Körperverletzung schon sehr früh durch die Rabbiner verboten. „Daneben gibt es eine ganz reiche Tradition der Frauenverehrung. Es heißt zum Beispiel: Die Frau ist die Krone des Mannes, in ihr ist eigentlich die Weisheit und noch vieles mehr. Dieses Nebeneinander von frauenfeindlicher und frauenfreundlicher Tradition ist manchmal ganz verrückt machend, aber hier können wir natürlich anknüpfen.“
Luise Becker, Juristin und islamische Theologin, ging ausführlich auf einen Koranvers (Sure 4,34) ein, der nach herkömmlicher Übersetzung häusliche Gewalt unter bestimmten Voraussetzungen gestatten soll. Sie zeigte auf, dass hier klar ein Übersetzungsfehler vorliege, der sich in der Tradition gegen Frauen gerichtet habe. „Aber schon der Schöpfungsbericht zeigt, dass die Geschlechter gleichberechtigt sind. Es gibt bei uns keine Eva, keinen Adam, sondern es heißt im Koran: ‚Gott schafft aus einer Substanz den Menschen und sein bzw. ihr Partnerwesen.‘“ Nigar Yardim fasste ihren Vortrag so zusammen: „Wenn mein Mann mich schlägt, kann ich mit dem Koran ‚zurückschlagen‘.“ Die jüdische und die christliche Theologin stimmten dieser Aussage zu, auch die Bibel biete genügend Argumentationsmaterial, um sich theologisch gegen Gewalt in der Familie zur Wehr zu setzen.
„Dass alle drei Religionen eigentlich von einer Gleichheit von Frau und Mann ausgehen, das habe ich heute neu gelernt. Das ist ja eine gute Voraussetzung, um gegen häusliche Gewalt anzugehen“, fasste eine Teilnehmerin die zweistündige, intensive Diskussion auf dem Podium zusammen.
Die Idee zu der Podiumsdiskussion kam von der Sarah-Hagar-Initiative Ruhrgebiet, ein Zusammenschluss von Frauen der drei monotheistischen Religionen. Zu dem Podiumsgespräch und der Ausstellung wird derzeit eine DVD produziert. „Wir wollen, dass sich mehr Menschen damit befassen, wie wir aus religiöser Perspektive mit häuslicher Gewalt umgehen können“, begründete Andrea Lötscher, die Filmemacherin ihr Interesse. Die DVD kann in Kürze bei Pfarrerin Röckemann, Telefon (0209) 17 98-250 erworben werden. röck