Schöne neue Welt

Von den Rätseln der digitalen Kirchensprache

RSVP: Hätten Sie‘s gewusst?

RSVP: Hätten Sie‘s gewusst?

Die Regency-Epoche: Das waren noch Zeiten!

Die Regency-Epoche: Das waren noch Zeiten!

GELSENKIRCHEN – Der Evangelische Kirchenkreis Gelsenkirchen und Wattenscheid ist einer der „first mover“ (so heißt das wirklich, bedeutet in etwa: erster Beweger oder Umziehender) der Evangelischen Kirche von Westfalen: Ein großer Schritt in die digitale Welt, zeitgemäß, effizient und kinderleicht zu bedienen. Manche Anwenderinnen fremdeln noch damit. Ein Beispiel aus der Arbeit von Pfarrerin Katharina Blätgen (61) im Öffentlichkeitsreferat.

Oktober 2020: Ich erhalte vom Landeskirchenamt per Mail eine Einladung zu einem Zoom-Meeting. Im Untertitel steht (diesmal auf Deutsch): „Keine Konflikte“. Mein erster Gedanke: Bei diesem Meeting (Treffen) soll es friedlich zugehen. Aber: Gibt die Landeskirche jetzt vor, ob wir uns streiten dürfen oder nicht? Geht das nicht ein bisschen zu weit?

Nach einigen Tagen dämmert es mir: Das neue Mailprogramm beinhaltet auch einen Terminkalender. Beim Seminar hat die Einführung in den Umgang mit diesem Wunderwerk fast zweieinhalb Stunden gedauert. Da meine sechsjährige Großnichte keine fünf Minuten gebraucht hat, um meinen kohlenstoffbasierten Datenträger (gedruckter Kalender, Bleistift und Radiergummi) zu verstehen, bin ich bei diesem Konzept geblieben. Also steht in meinem elektronischen Terminkalender nichts drin – und deshalb teilt das System mir gleich mit der Einladung erfreut mit: Es gibt bei diesem Termin keine Überschneidungen mit all den anderen nicht eingetragenen Terminen. Gut zu wissen.

In der Einladung steht noch mehr, unter anderem ein kleiner grauer Kasten mit vier Großbuchstaben drin: RSVP. Auch hier brauche in ein paar Tage – ich habe diese Buchstabenfolge doch schon einmal gesehen, wo denn bloß? Plötzlich erinnere ich mich. Als 16-Jährige habe ich mit Begeisterung die Romane von Georgette Heyer gelesen. Sie spielen im englischen Regency, ich sehe es wieder vor meinem geistigen Auge: Da steht der hochrangige Adlige (ein Earl, ein Marquis) mit gepuderter Perücke in seinem Salon. Er lehnt sich an den Kaminsims, gelangweilt greift er mit manikürter Hand nach den kunstvollen Einladungen zu Bällen, Empfängen etc. Er ist ein begehrter Junggeselle, alle Matronen mit Töchtern im heiratsfähigen Alter laden ihn ein. Und da, ganz unten auf dem handgeschöpften Büttenpapier, da steht es in verschlungenen Buchstaben: RSVP. Ja, im Regency sprachen Engländer durchaus auch Französisch: Répondez s‘il vous plaît – bitte antworten Sie! Noch nie, noch niemals in meinem Leben habe ich als bürgerliche Deutsche des 20.-21. Jahrhunderts eine Einladung erhalten, in der ich um RSVP gebeten werde. Eine Premiere!

Also klicke ich auf RSVP – und werde abrupt aus dem Salon des Marquis gerissen. „Eine Mail an Ulf Schlüter?“ werde ich gefragt. Ich bin pikiert. Meine Eltern haben mir noch Manieren beigebracht. Wenn überhaupt, dann schreibe ich an den Vizepräses der Evangelischen Kirche von Westfalen, aber doch nicht an irgendeinen Ulf Schlüter! Allerdings habe ich auch dem Vizepräses gerade rein gar nichts mitzuteilen. Also klicke ich auf „nein“. Sekunden später stelle ich fest: Durch diesen Klick habe ich doch eine Mail an Ulf Schlüter geschickt -  und mich von dem Zoom-Meeting abgemeldet. Dabei stand es doch schon ganz konfliktfrei in meinem Kalender. Schade.