GELSENKIRCHEN – „Wo war ich, bevor ich in Mamas Bauch war?“ „Warum kann ich Gott nicht sehen?“ „Warum kommt der Weihnachtsmann nur zu deutschen Kindern?“ So fragen Kinder nicht nur in konfessionellen, sondern auch in kommunalen Kindergärten. In Gelsenkirchen lernen pädagogische Fachkräfte in städtischen Tageseinrichtungen zur Zeit, kompetent auf solche Fragen einzugehen. Ein Viertel aller Einrichtungen von GeKita (Gelsenkirchener Kindertagesbetreuung) nimmt derzeit an einem bezogen auf Nordrhein-Westfalen einzigartigen Pilotprojekt unter dem Titel „Religiöse Bildung in städtischen Tageseinrichtungen von GeKita“ teil. In Kooperation mit dem Evangelischen Kirchenkreis Gelsenkirchen und Wattenscheid und dem Pädagogischen Institut der Evangelischen Kirche von Westfalen in Villigst soll das Recht der Kinder auf religiöse Bildung gestärkt werden.
„Vielleicht werden es ja drei Einrichtungen sein, die dabei mitmachen“, hatte Alfons Wissmann, der Jugendamtsleiter der Stadt Gelsenkirchen, beim Beschluss zur Durchführung des Projektes im November 2007 gehofft. Aus drei erhofften wurden am Ende elf teilnehmende Tageseinrichtungen für Kinder. Das lässt auf ein hohes Interesse und einen lange gehegten Wunsch in den Einrichtungsleitungen und bei den Fachkräften schließen. Heike Kostarellis, die Leiterin der Tageseinrichtung für Kinder Heinrich-Brandhoff-Straße 4a, erklärt: „Für uns stellt das Projekt eine große Erleichterung dar. Wir werden in die Lage versetzt, uns in religiösen Fragen mitteilen zu können.“ Auch bei den Eltern stößt das Projekt auf Gegenliebe. So bekennt Hille Pusch, eine Mutter von zwei Kindern, die die Tageseinrichtung Heinrich-Brandhoff-Straße besuchen: „Manchmal weiß ich auf die Fragen der Kinder einfach keine Antwort. Und dann ist es gut, wenn der Kindergarten das aufgreift.“
Pfarrer Ulrich Walter, Dozent am Pädagogischen Institut, ist überzeugt: „Religiöse Bildung gibt Kindern Lebensnahrung.“ Religiöse Bildung steht dabei unter dem Leitbild einer werteorientierten Erziehung und unterscheidet sich maßgeblich von religiöser Erziehung, wie sie für evangelische Einrichtungen bezeichnend ist. In einer städtischen Einrichtung werden weder Kinder, Eltern noch Fachkräfte zu einem rituellen oder ausdrücklich religiösen Tun veranlasst. „Auch sind wir nicht missionarisch tätig“, erläutert Heike Kostarellis, um mögliche Befürchtungen vor religiöser Vereinnahmung zu zerstreuen.
Das Projekt selbst gliedert sich in mehrere Phasen. Zunächst werden die pädagogischen Fachkräfte qualifiziert. Ulrich Walter führt dazu in den einzelnen Einrichtungen Fortbildungen zu Themen wie „Die ‚großen Fragen‘ der Kinder – Mit Kindern nach dem Sinn des Lebens fragen“, „Feste – Feiern – Rituale“ und „Orte des Glaubens in der Nachbarschaft“ durch. Anschließend setzen die Fachkräfte die erworbenen Kompetenzen um, beispielsweise in Arbeitsgruppen mit den Kindern oder Veranstaltungen im Gruppenbereich. Pfarrer Claus Carstensen, als Berufsschullehrer am Berufskolleg Königstraße in der Ausbildung von Erzieherinnen tätig, koordiniert in einem weiteren Schritt den Kontakt der Tageseinrichtungen zur Gemeinde vor Ort. So wird die Pfarrerin oder der Pfarrer Kontaktstunden in den Einrichtungen erteilen, und die Kinder bekommen die Möglichkeit, die Erlaubnis der Eltern vorausgesetzt, an besonderen Gottesdiensten der Gemeinde teilzunehmen. Nach Abschluss des Projektes werden die Erfahrungen gesammelt und dokumentiert, damit das Konzept auf andere Einrichtungen übertragen werden kann. Schließlich ist die Ausweitung auf andere Konfessionen und Religionen denkbar, wie Alfons Wissmann erläutert: „Der Prozess ist prinzipiell offen und nicht auf die Zusammenarbeit mit der Evangelischen Kirche vor Ort beschränkt. Andere Religionsgemeinschaften sind uns gleichermaßen willkommen, doch wollen wir erst auswerten, wie das Projekt läuft.“
Rüdiger Höcker, Superintendent des Kirchenkreises Gelsenkirchen und Wattenscheid, erhofft sich Impulse für die soziale und kulturelle Gemeinschaft: „Wenn es gelingt, dass Kinder aus unterschiedlichen Religionen miteinander ins Gespräch kommen, ist der Grundstock für die Bedürfnisse einer multikulturellen Gesellschaft gelegt. Da hat der Fundamentalismus keine Chance.“ DB