„Kultur ist Friedensbotschafter“

Konzert in der Matthäuskirche als Auszeit vom aktuellen Kriegsgeschehen in der Ukraine

Ohne Pausen, gekürzte Fassung, keine Erzählung: trotzdem begeisterten Komponist Marc Vogler (rechts) und die Musikerinnen und Musiker mit der Vertonung des Romans um den Hochstapler Felix Krull das Publikum in der Matthäuskirche.

Komponist Marc Vogler, der ursprünglich in launiger Erzählweise den Hochstapler Felix Krull in der Oper lebendig werden lässt, beschränkte sich anlässlich des Kriegsgeschehens in der Ukraine bei diesem Konzert auf neutrale Moderationen zwischen den Musikstücken.

GELSENKIRCHEN – Geplant war dieses Konzert mit Szenen und Arien aus der Vertonung des Hochstaplerromans Felix Krull von Thomas Mann noch ganz anders.

Der Komponist dieser „ Krull“ - Oper, der junge Marc Vogler, wollte eigentlich selbst als Erzähler durch das abenteuerliche Stück rund um den Sohn eines bankrotten Schaumweinfabrikanten führen. Doch diese „unbekümmerte Champagnerstimmung“ erschien dem 1998 in Gelsenkirchen aufgewachsenen Musiker angesichts des Krieges in der Ukraine unpassend, launiges Erzählen wäre für ihn nicht angemessen gewesen.

Einfach ausfallen sollte das im Rahmen der Reihe „Kunst entdeckt Kirche“ geplante Konzert, das ursprünglich 2020 stattfinden sollte und wegen der Corona Pandemie bereits zweimal verschoben wurde, aber auch nicht. Was tun? „Auf die Bühne bringen möchte ich auf jeden Fall etwas, das Freude macht“, versprach Vogler im Vorfeld, schließlich sei Kultur ein Friedensbotschafter. Und viele Besucher seien auf die Arien und Instrumentalstücke auch schon sehr gespannt.

Und so erlebte das Publikum an diesem Abend Ausschnitte aus der zweiaktigen Oper, jedoch ohne die sonst zwischen den Arien von Felix Krull gesprochenen melodramatischen Passagen. Neutrale, begleitende Moderation und zusätzliche Musikstücke ergänzten die wunderbaren Arien der Sängerinnen und Sänger der Musikhochschule Köln sowie die Instrumentalstücke von Rainer Maria Klaas am Klavier und Tim Schulze am Kontrabass.

Einen stürmischen Anfang bot Klaas am Klavier. Der gebürtige Recklinghäuser, immerhin der repertoirereichste europäische Pianist, begann mit der Ouvertüre zu Felix Krull sofort tongewaltig das Publikum mitzureißen. Es folgten zwei Arien zu den Jugendjahren des Hochstaplers Krull. Sandra Gerlach beeindruckte als Schwester Olympia. Mit ihrem wunderbar warm-dunklen Mezzosopran erfüllte sie sofort den gesamten Kirchenraum, erhob ihn quasi zur Opernbühne. Das folgende Nocturne für Klavier wurde vom 23-jährigen Vogler kurzfristig in das Programm eingefügt, als Ersatz für den hier eigentlich vorgesehenen Textpart. Felix Vater, der Schaumweinfabrikant, hatte sich umgebracht. Und Felix weiß nicht so recht, wo er nun hin soll. Er streunt durch die Straßen, blickt in die Schaufenster. Die Musik dazu leicht melancholisch, am Klavier gespielt von Marc Vogler.

Bei der folgenden Arie („heute geht es quasi im Schnelldurchlauf durch die Oper“) steht die legendäre Musterungsszene im Mittelpunkt. Felix schafft es durch sein schauspielerisches Talent, dem Wehrdienst zu entkommen. Jan Schulenburg (Bariton) nimmt sich den jungen Felix Krull vor. Das Publikum war dabei plötzlich in der Position des Befragten und erlebte so quasi die eigene Musterung und in der Reaktion des Sängers einen perfekt vorgespielten epileptischen Anfall Krulls. Ergebnis: „Ausgemustert, wegtreten!“

Die aktuellen Änderungen dieses Konzertabends führten zu einem nachträglich hinzugefügten Klavierstück, dem 2. Satz aus Voglers Klavierkonzert, in dem die rechte Hand das Klaviersolo spielt und die linke Hand den Orchesterpart spielt. Pianist Klaas meisterte dieses ungewöhnliche Stück mit Bravour und wurde vom Publikum mit besonders kräftigem Applaus bedacht.

Romanfigur Felix Krull als Opernheld, wie kam Marc Vogler, der schon im Alter von 16 Jahren seine erste Oper komponierte, auf diese Idee? „Das Vorbild für Felix Krull, zum Hochstapler zu werden, ist der Opernsänger / Schauspieler Müller – Rosé. Thomas Mann rückt in dem Roman den Künstler ironisch in die Nähe des Hochstaplers. Was könnte also ein besserer Opernstoff sein, als Felix Krull?“ Und die Matthäuskirche bot einen beeindruckenden Klangkosmos dafür.

Mit Florian Marignol (Bariton), der den Marquis de Venosta musikalisch darstellt und dabei Felix um einen Rollentausch bittet, und der abschließenden Arie der Trapezkünstlerin Zaza, herrlich vorgetragen von der Sopranistin Franziska Groß, endet ein außergewöhnliches Konzert in der Kirche in Gelsenkirchen Buer.

„Kultur hat bei all den schlechten Nachrichten eine wichtige Funktion, Kultur als Auszeit, als kultureller Kontrapunkt“, bekräftigt Heike Fleckenstein vom Verein „Kunst entdeckt Kirche“ die Entscheidung zu dieser Aufführung. Zwischen Pandemie und Kriegsgeschehen nahm das Publikum diese Auszeit gern an und bedankte sich mit reichlich Applaus. 

Text: Frauke Haardt-Radzik

Fotos: Cornelia Fischer