Beim jüngsten Emporenkonzert stellte der österreichische Schauspieler Harald Schwaiger nicht den Verräter Judas dar, sondern einen verzweifelten Jünger, der um seine Rehabilitation kämpft: „Mich reizt die Figur des Judas, das Drama, die neuartige Idee, dass er eine Rolle im Heilsplan Gottes spielt.“
Der Text gewährt faszinierende und überraschende Einblicke in Judas Seelenleben. Der Jünger erscheint als zerrissener, von Schuldgefühlen bedrückter Mensch und erläutert seine Sichtweise auf die ihm zugeschriebene Rolle zur Erlösung der Menschheit durch das Opfer des Gottessohns.„Ja, es war so abgesprochen. Gegrüßet seist du Rabbi, das waren die vier Worte, die wir verabredet hatten!“ Schauspieler Harald Schwaiger, der auch als Intendant des Dalheimer Sommers am Kloster Dalheim wirkt, verkörpert Judas Ischariot sehr eindringlich. Die zahlreichen Besucher lauschen dem Monolog gespannt.Und da es ja ein Emporenkonzert ist, gab es von Andreas Fröhling auch diesmal Musik von der Orgel zu hören. „Habe die Musik zur kleinen Verschnaufpause, zum Sacken lassen all des Ungeheuerlichen, was da als Schauspiel geboten wurde, ausgewählt“, so der Kreiskantor. Vier verschiedene Stücke von Johann Sebastian Bach hat er hierfür ausgesucht, so eine verfremdete Version der d-Moll Toccata und auch Improvisation und Zitat von „Jesus bleibet meine Freude“.
Dann tauchen Schauspieler und Publikum wieder ein in die Verteidigungsrede des Judas aus Ischarioth. Hierbei stellt Judas, in Person des Harald Schwaiger, seine Tat als notwendigen Bestandteil der Heilsgeschichte und die des Christentums dar, die er einvernehmlich mit Jesus bereit war, zu begehen. Andererseits überkommen ihn Zweifel und er stellt sich die Frage, wie die Geschichte ohne seinen Verrat verlaufen wäre: „Wenn ich nein gesagt hätte, mich geweigert hätte, Jesus zu verraten, wäre Gottes Plan zunichte geworden.“
Dann hätte es vielleicht gar keine Kreuzigung Jesu gegeben, womöglich auch keine christliche Kirche, vielleicht auch keine Judenverfolgung.„Das Schauspiel Judas formuliert die Schuldfrage neu“, erläutert Schwaiger, der am Mozarteum Salzburg studierte und unter anderem am Theater Düsseldorf und Dortmund wirkte. „Es hinterfragt die Stigmatisierung des vermeintlichen Ur-Verräters und rüttelt damit an den Grundfesten des christlichen Selbstverständnisses.“Diesem Rütteln und Schütteln setzte Organist Andreas Fröhling immer wieder wohltuende musikalische Auszeiten, zum Schluss das Ende der g-Moll Fantasie von Johann Sebastian Bach, entgegen.
„Tolle schauspielerische Leistung, toll auch diese Verdrehungen, aber keine leichte Kost“, so einige Besucherstimmen. Die Zuhörer, die bei diesem Emporenkonzert statt auf der Empore im Kirchenschiff saßen, blieben zunächst noch etwas nachsinnend in den Bänken sitzen. Doch dann gab es reichlich Applaus für die schauspielerische Leistung und die Orgelmusik.
Text: Frauke Haardt-Radzik
Fotos: Cornelia Fischer