GELSENKIRCHEN – Vom 23. bis 25. September war der Evangelische Schulbund Nord mit seiner Jahrestagung in der Evangelischen Gesamtschule Gelsenkirchen-Bismarck zu Gast. Am Donnerstag, 24. September, hat Rüdiger Höcker, Superintendent des Evangelischen Kirchenkreises Gelsenkirchen und Wattenscheid, mit den Lehrerinnen und Lehrern eine Andacht gefeiert. Seine Ansprache über Exodus (2. Buch Mose), Kapitel 15, Vers 11 geben wir hier im Wortlaut wieder.
„Die Losung in der Tradition der Herrnhuter Brüdergemeinde, die dem heutigen Tage zugezogen wurde, kommt aus einem Lied, aus einem Danklied, und sie kommt aus einer Fluchterfahrung. Sie findet sich im 2. Buch Mose – und damit im Buch Exodus – in dem Buch, in dem die Flucht eines ganzen Volkes erinnert wird, einer Flucht, die eine ganze Generation gedauert hat – deren Ende niemand der Aufbrechenden erlebt hat.
Aber noch ist das den Fliehenden nicht bewusst. Noch sind sie in Aufbruchsstimmung – und haben gerade die erste große Krise überstanden. Nach wenigen Tagen angekommen am Roten Meer, scheint der Ausbruch aus unhaltbaren Lebensumständen bereits sein Ende zu finden. Vor ihnen tödliches Wasser, hinter ihnen der Pharao und seine Armee. Plötzlich jedoch öffnet sich das Meer und gibt überraschend eine Passage frei. Eilend durchschreiten sie die eigentlich tödliche Falle, die dann unbarmherzig zuschlägt, als der Pharao und seine Armee nachrücken. Rückblickend singt das Volk unter Anleitung des Mose ein Danklied. So die Vermutung späterer Generationen. Aus ihm die Losung des Tages: Herr, wer ist dir gleich unter den Göttern? Wer ist dir gleich, der so mächtig, heilig, schrecklich, löblich und wundertätig ist?
Die Worte der Mütter und Väter des Glaubens sind oft fremde und schwere Kost. An ihnen kaut man rund. Und manche liegen lange und schwer im Magen. Eine Fluchtgeschichte. Ein ganzes Volk flieht. Es flieht vor einem System, das seine Würde als Menschen und sein Recht auf Leben verletzt. Ein ganzes Volk nimmt allen Mut zusammen und entzieht sich der Unterdrückung. Es flieht, weil es da eine Sehnsucht gibt, die Sehnsucht nach einem Leben in Frieden und Freiheit. Die biblische Überlieferung kleidet es in das Bild einer Verheißung, die Verheißung eines Landes, in dem Milch und Honig fließen, in dem jede und jeder in Würde leben und alt werden kann. Und sie fliehen, weil jemand zu ihnen gesagt hat: Gott ist mit uns. Gott hat unser Elend gesehen. Gott hat sich entschieden, uns zu helfen. Er will uns in ein gelobtes Land führen.
Auf der Suche nach Sicherheit
Und so erleben sie ihren Gott. Er ist mit ihnen – am Tag in einer Wolkensäule, bei Nacht in einer Feuersäule – Mythen des Glaubens, die so stark sind, dass sie den Schritt wagen, den Schritt in eine unbekannte Welt, die ihre Opfer sucht und findet. Am Ende wird keiner der Aufbrechenden den Wüstenwanderweg ins Land der Verheißung überleben. Entsprechend bleibt der Zweifel, ob sie das Richtige entschieden haben. Doch in dem Augenblick der Tageslosung ist aller Zweifel verstummt – als blickten wir in die Augen der Flüchtlinge, die gerade die Grenze nach Deutschland überschritten haben. Herr, wer ist dir gleich unter den Göttern? Wer ist dir gleich, der so mächtig, heilig, schrecklich, löblich und wundertätig ist?
Vor den Sommerferien hatten wir Besuch, Besuch aus unserem Partnerkirchenkreis Morogoro in Tansania. Eine der wenigen jungen Pfarrerinnen war auf der Rückreise von einer Kirchenkonferenz in Finnland eine Woche unser Gast. Zuhause in Morogoro ist sie Jugendpfarrerin. Sie überraschte uns mit der Frage: Ist Deutschland das Paradies? Wir fragten zurück: Warum? – Das glauben die jungen Leute in meinem Land. Deutschland ist das Paradies.
Was hätten Sie meiner jungen Kollegin geantwortet. Ist Deutschland das Paradies? Ist Deutschland das gelobte Land, in dem Milch und Honig fließen? Wir haben uns mit einer Antwort schwer getan. Deutschland – ein Paradies? Sie wollen nach Deutschland – die, die sich entschieden haben, nicht länger auf bessere Verhältnisse zu warten in Flüchtlingslagern rund um die Brandherde im Nahen Osten. Sie wollen nach Deutschland – die jungen Leute aus den Krisengebieten Schwarzafrikas. Sie wollen nach Deutschland, weil unser Land in ihren Augen ein Paradies ist – ein Land, in dem Milch und Honig fließen. ein Land, in dem Frieden herrscht und Freiheit, in der das Leben auskömmlich zu sein scheint. Nichts kann sie abschrecken - nicht das tödliche Mittelmeer, nicht die überforderten Staaten auf ihrem Weg nordwärts. Und endlich in Deutschland angekommen, spricht so manche und so mancher ein Stoßgebet: Allah akba! Gott ist groß! Hamdala! Gott sei Dank! Endlich angekommen in einer Oase der Menschlichkeit, an einem Ort, an dem das Leben atmen kann, frei ist, sicher vor Krieg und Bombenalarm. Gott mit ihnen – sie haben es geschafft. Sie haben den Weg überlebt. Herr, wer ist dir gleich unter den Göttern? Wer ist dir gleich, der so mächtig, heilig, schrecklich, löblich und wundertätig ist?
Die Erde gerecht und friedlich gestalten
Und wir – wir stehen da wie die Kanaaniter und Amoriter, wie Bürger Jerichos. Denn das Gelobte Land ist nicht unbewohnt. Und wir haben uns noch nicht entschieden. Wollen wir mit denen, die kommen, alles teilen, was wir sind und haben? Oder wollen wir uns wehren – wehren wie Jericho, wehren wie die, die schon da waren, als die kamen, die nichts gerettet hatten als ihren Glauben an und ihre Hoffnung auf ein besseres Leben. Jericho hat verloren. Aus Flüchtlingen wurden Sieger, weil die, die schon da waren, in den Krieg zogen, um die Flüchtlinge in die Wüste zurückzujagen. Doch dieser Krieg war nicht zu gewinnen. Werden wir es in Europa begreifen, dass der Krieg nicht zu gewinnen ist, der Krieg gegen Menschen auf der Flucht, der Krieg gegen Menschen, die die Sehnsucht nach Frieden und Gerechtigkeit, nach Milch und Honig, nach dem Paradies im Herzen tragen?
Die Menschen die kommen, sie suchen mehr als vorübergehendes Asyl – sie suchen eine neue Heimat. Und sie werden sich nicht verteilen lassen auf Lager und Länder. Die Erde ist des Herrn, geliehen ist der Stern, auf dem wir leben. Die Erde gehört uns allen. Sie gerecht und friedlich zu gestalten, ist und bleibt die Aufgabe der Gesellschaften, der Religionen, der Kulturen. Wann begreifen wir dies? Und so sind wir bereit für den Lehrtext des heutigen Tages. Auch er erst einmal fremd - und dennoch mit einer Verheißung für uns alle: Es sind verschiedene Kräfte, aber es ist ein Gott, der da wirkt alles in allen. Er ist es, der den Traum von Frieden und Gerechtigkeit niemals ad acta legen wird. Er ist es, der die Tür zum Paradies geöffnet sehen will für jede und jeden. Er ist es, der seine Kinder vielfältig und bunt geschaffen hat. Er ist es, dem alles gehört, was ist. Mit den Worten arabisch sprechender Christinnen und Christen: Allah akbar - Gott ist groß!“