Intensive Auseinandersetzung zwischen Glauben und Kunst

Auch beim 150. Emporenkonzert gab es Überraschendes auf die Ohren

Bastian Röstel, Bariton, Robert Hogrebe, Orgel und Andreas Fröhling, Orgel und künstlerischer Leiter der Emporenkonzerte (von links) boten in der Nicolai – Kirche ein außergewöhnliches Jubiläumskonzert.

Auch schon in der Vorbereitung, noch ohne Publikum, bereitet sich Robert Hogrebe sehr konzentriert auf das Orgelspiel vor.

GELSENKIRCHEN – „40 bis 60 Besucher – und das über fast 20 Jahre, das ist wahrlich ein Geschenk!“ Kreiskantor Andreas Fröhling hat an diesem Jubiläumsabend gleich mehrfach Grund zur Freude.

Am 1. Advent 2003, nach aufwendiger Restaurierung der Orgel in der Nicolai – Kirche der Apostelkirchengemeinde, war Premiere. Und da die Orgel bei allen Konzerten eine wichtige Aufgabe hatte und bis heute hat, blieben die Besucher von Anfang an in ihrer Nähe, suchten sich gleich oben auf der Empore einen Sitzplatz.

Ein Mitglied der Gemeinde fand dann für diese Konzertreihe, die immer am 15. eines Monats stattfindet, den passenden Namen: Emporenkonzerte.

Mitunter kommen so viele Besucher, dass auf der Empore gar nicht mehr genug Platz für alle ist, die Reihe hat ihren Namen und damit ist sie schon weit über Gelsenkirchen hinaus bekannt geworden.

Im Interview mit dem Kreiskantor Andreas Fröhling wollten wir herausfinden, was die Emporenkonzerte eigentlich so besonders macht.

Fröhling: „Der besondere Spirit dieses Kirchenraumes wird bei jedem Konzert fühlbar. Das erschließt sich selbst Musikern, die sonst nur wenig mit Kirche zu tun haben. Das Programm ist häufig sehr aktuell. Die Kirche ist kein entrückter Ort, weit weg von aktuellen Krisen. Aber das Besondere gerade auch hier ist, dass sich die Besucher heimisch fühlen können in der Gemeinschaft.“

Während sich die Künstler des Abends auf das anstehende Programm vorbereiten, treffen schon viele Stammgäste der Konzertreihe auf der Empore ein. Einige steuern ganz offenbar auf ihren Stammplatz zu. Jahr für Jahr, Monat für Monat wird ein vielfältiges Programm geboten. Was waren denn so im Rückblick gesehen besondere Highlights?

Fröhling: „Da fallen mir drei Konzerte ein, weil sie einen Bezug aufeinander nehmen. Das Erste waren die „Lieder eines fahrenden Gesellen“ von Gustav Mahler. Das Thema dabei, wie wird jemand als Fremder behandelt. Das zweite Highlight dann das Konzert mit dem Titel „Gottverlassen“. Zum Volkstrauertag in jenem Jahr gab es musikalische Reflexionen zum Ausbruch des 1. Weltkriegs. Und drittens ein Emporenkonzert zum Thema Klagen. Die Exequien von Heinrich Schütz, Gustav Mahlers Kindertotenlieder. Gleichzeitig gab es in diesem Konzert aber auch eindeutig tröstende Klänge.“

150 Konzerte, mal mit kleinem Orchester, mit besonderen Solisten, oft auch mit überraschenden, ungewöhnlichen Kunst- und Musikerlebnissen. Meist mit interessanten Erläuterungen, Hintergrundinformationen vom künstlerischen Leiter, Andreas Fröhling. Was wünschen Sie sich für die Zukunft der Emporenkonzerte?

Fröhling: „Dass dieser Kirchenraum für die Musik und diese Konzerte erhalten bleibt! Und ich hoffe, dass die Anteilnahme so intensiv wie bisher bleibt. Sowohl vom Publikum als auch von den Musikern. Es ist toll, dass immer wieder Musiker fragen, ob sie hier mal wieder spielen können.“

 

Zum Jubiläum „Signale der Hoffnung“

Liebliche, leichte Kost steht dabei eher selten auf dem Programm. So auch an diesem Abend. „Signale der Hoffnung“, lautet der Titel des Jubiläumskonzerts.

Kriegslärm, Totengebet, die Stille, wenn das Schießen endlich aufhört: Robert Hogrebe an der Orgel und Bastian Röstel, Bariton, trugen dazu Musik, Lieder verschiedener Komponisten vor.

Kräftige Schläge zweier Holzlatten aufeinander, das Publikum zuckte bei diesem Geräusch, das an Schüsse erinnerte, zusammen. Dazu mal Wimmern, Schmerzensschreie, Entsetzen. Erschreckend aktuell und äußerst eindringlich brachte Bastian Röstel, der ebenso wie Organist Robert Hogrebe in Köln Musik studiert, hier die lärmende Kriegsatmosphäre hautnah rüber, öffnete quasi ein Fenster zum alltäglichen Grauen. Dieter Schnebel (1930 – 2018), für Fröhling einer der besten Theologen und Komponisten dieser Zeit, schuf mit dem Lamento di Guerra II ein überdeutliches Klangbild dessen, was Krieg tatsächlich bedeutet.

Ebenso eindringlich entwarf auch Robert Hogrebe bei Dominik Sustecks „Signal“ aus der Komposition „Zeichen“, 2016 komponiert, mit der Orgel ein überraschendes Klangbild. Ein klares akustisches Zeichen, ein Aufruf. Signale zum Angriff? Des Schreckens?

Und schließlich Karl Jenkins „Now the guns have stopped“. Ein meditativer, warmer Bariton, ein intensiver Austausch zwischen Orgel und Gesang. Die Ruhe nach all dem Sturm? Sie klingt hier eher unruhig, die Verlassenheit, die Leere nach dem Kriegsgeschrei.

Andreas Fröhling gelang es, mit einer musikalischen Klammer, dem Präludium Es-Dur zu Beginn, sowie zum Schluss der Fuge Es-Dur von Johann Sebastian Bach diesem Konzert einen festlichen Rahmen zu geben. Und griff damit auch den Titel des Konzerts „Signale der Hoffnung“ musikalisch an der Orgel auf.

Das Publikum verfolgte das Konzert sehr konzentriert, ließ sich, wie schon viele Male zuvor, auch diesmal auf Neues ein. Und überraschte zum Schluss den Leiter dieser Konzertreihe seinerseits mit einem überraschenden Ständchen zum runden Geburtstag des Kreiskantors Andreas Fröhling. 

 

Text und Fotos: Frauke Haardt-Radzik