Heart's Fear – Wenn es nicht mehr für einen Kaffee mit Freunden reicht

Schauspielerin Bettina Kenter-Götte machte ihre Erfahrungen mit Armut und Ausgrenzung erfahrbar

Geschichten von Armut und Ausgrenzung: Schauspielerin Bettina Kenter-Götte wird in der Kellerbar des Consol Theaters von Industrie - und Sozialpfarrer Dieter Heisig begrüßt. Mit der szenischen Lesung aus ihrem Buch „Heart‘s Fear“ gibt sie Betroffenen eine Stimme und ein Gesicht. FOTO: CORNELIA FISCHER

Geschichten von Armut und Ausgrenzung: Schauspielerin Bettina Kenter-Götte wird in der Kellerbar des Consol Theaters von Industrie - und Sozialpfarrer Dieter Heisig begrüßt. Mit der szenischen Lesung aus ihrem Buch „Heart‘s Fear“ gibt sie Betroffenen eine Stimme und ein Gesicht. FOTO: CORNELIA FISCHER

GELSENKIRCHEN – „Ja, genauso ist es“, bestätigte Carsten W. aus dem Publikum die Erfahrungen, die Schauspielerin Bettina Kenter-Götte in der Kellerbar des Consol Theaters mit einer ergreifenden Darbietung schilderte. Carsten W. war selbst viele Jahre arbeitssuchend. „Das können sich die meisten Menschen einfach nicht vorstellen, dass einem vieles davon wirklich so passiert und welches Verwaltungsmonster sich hinter dem Stichwort Hartz IV verbirgt!“

Bettina Kenter-Götte folgte der Einladung des Industrie- und Sozialpfarramts (ISPA) im Evangelischen Kirchenkreis Gelsenkirchen und Wattenscheid. Mit ihrem Auftritt am 30. April, einer Mischung aus Lesung und szenischem Spiel, gab sie pointiert ihre Erfahrungen aus dem Hartz IV-Alltag wieder. Dafür schlüpfte sie in verschiedene Rollen und ließ das Publikum erlebte Situationen hautnah nachempfinden: Beispielsweise wie die Teilnehmenden einer Maßnahme (das Publikum) die herabwürdigende Ansprache der Schulungsleiterin (Kenter-Götte) über sich ergehen lassen müssen. Außerem: Der Kampf durch einen Berg von Formularen und fehlerhaften Bescheiden und das dumpfe Gefühl der Scham, wenn das Geld nicht mal mehr für einen Kaffee mit Freunden reicht. Die Künstlerin berichtete von ihrem Fall durch die Maschen des sozialen Netzes und vom Mut, den es erforderte, all die entwürdigenden Situationen auszuhalten. In ihrer beruflichen Laufbahn wurde sie einst als Schauspielerin gefeiert und als Autorin ausgezeichnet – doch leben konnte sie von ihren Einkünften nicht. Als alleinerziehende Mutter war sie auf aufstockende Sozialleistungen angewiesen. In ihrem Buch „Heart's Fear/Hartz IV – Geschichten von Armut und Ausgrenzung“, erschienen im März 2018 im Verlag Neuer Weg, schildert sie ihre eigenen Erfahrungen mit dem bestehenden Hartz IV-System: „Ich wollte die unglaublichen Geschichten erzählen und schrieb darüber, wie das Alltagsleben mit ‚Heart’s Fear‘ wirklich ist: erniedrigend, bedrohlich, bedrückend, aussichtslos, existenzgefährdend, absurd – und mitunter auch komisch“, so Bettina Kenter-Götte. Mit ihrem Buch und ihren Auftritten will die Autorin den Betroffenen eine Stimme und ein Gesicht geben.

Die Atmosphäre der Kellerbar des Consol Theaters und Kenter-Göttes Nähe zu ihren Gästen trug dazu bei, dass ein Thema, das viele Menschen lieber verdrängen wollen, dem Publikum nahe rückte. Und es quittierte diese Art der Information und Aufklärung mit viel Beifall. Der Lesung schloss sich eine lebhafte Diskussion an. Industrie- und Sozialpfarrer Dieter Heisig versuchte mit den Gästen Antworten auf Fragen zu finden wie „Darf es sich ein Sozialstaat erlauben, die Unterstützung, getarnt als pädagogische Maßnahme, auf Null herunter zu fahren?“ und „Warum bildet sich so wenig Widerstand gegen solche negativen Entwicklungen?“. Heisig berichtete, er habe die Erfahrung gemacht, dass viele direkt Betroffene es nicht abwehren können, wenn es heißt, sie seien die persönlichen Versager und sie hätten ihre missliche Lage selbst verschuldet. Das zu ändern – dazu wolle sie mit ihren Veranstaltungen beitragen, so Kenter-Götte am Schluss des Abends, der erst langsam mit vielen engagierten Gesprächen ausklang.