„Guck mal, was ich kann!“

Balanceakt zwischen Pubertät und Berufsfindung

Wenn sie nicht gerade am Telefon Kontakte herstellt, steht sie in der Tür zwischen Schule und Berufswelt: Sabine Sinagowitz von der Evangelischen Jugendberufshilfe im Kirchenkreis Gelsenkirchen und Wattenscheid. FOTO: CORNELIA FISCHER

GELSENKIRCHEN – „Der liebe Gott hat es so eingerichtet: Ihr kommt in die Pubertät – und Ihr kommt auch wieder heraus.“ Das ist die eine der Wahrheiten, die Sabine Sinagowitz den Schülerinnen und Schülern der Jahrgangsstufen 8 bis 10 mitteilt. Die andere lautet: „Die Wirtschaft will Gewinne machen.“

Die Sozialpädagogin bringt damit den schwierigen und manchmal abenteuerlichen Balanceakt der Evangelischen Jugendberufshilfe auf den Punkt. Auf der einen Seite pubertierende Jugendliche: Die Hormone spielen verrückt, die Selbstzweifel wachsen ins Unendliche, die Zugehörigkeit zu einer Gruppe spielt eine wichtige Rolle. Auf der anderen Seite die Wirtschaft: Hier ist Ausgeglichenheit gefragt und Selbstsicherheit, dazu individuelle Leistung. Dummerweise müssen viele Jugendliche mitten in der Hochpubertät die Weichen für ihre berufliche Zukunft stellen. Genau an diesem Brennpunkt setzt die Evangelische Jugendberufshilfe an.

Pünktlich zum neuen Schuljahr hat Sabine Sinagowitz ein neues Konzept für diese Arbeit vorgelegt. Die Jugendberufshilfe beim Industrie- und Sozialpfarramt war bisher immer mit zwei Personen besetzt, muss aber jetzt aufgrund der Finanzknappheit von ihr alleine weiter geführt werden. Sinagowitz macht aus der Not eine Tugend und bietet ein Baukastensystem an. „In der Vorbereitung auf das Arbeitsleben sind drei Bereiche entscheidend“, sagt die 48-Jährige. Die Jugendlichen müssen sich mit ihrer Persönlichkeit befassen, herausfinden, wer sie sind, was sie können und was sie wollen. Dazu sollen sie die Arbeitswelt kennen lernen und erfahren, was dort von ihnen erwartet wird. Und schließlich müssen sie Spaß am Lernen entwickeln, ein Gefühl dafür bekommen, dass es Freude machen kann, Qualifikationen zu erwerben.“

Deshalb bietet die Evangelische Jugendberufshilfe in diesen drei Bereichen –Persönlichkeit, Arbeitsweltbezug und Spaß am Lernen – jeweils sieben bis neun Module an. Sie bestehen aus einigen Stunden oder mehreren Unterrichtstagen. Da gibt es etwa im Bereich der Persönlichkeit das Modul „Mutprobentag … sich mal was trauen“ oder „Guck mal, was ich kann! – Präsentationstraining“. Im Bereich Arbeitsweltbezug gibt es Betriebshospitationen unter dem Motto „Kann ich mal gucken?" oder die Übung von Vorstellungsgesprächen. Beim Spaß am Lernen geht es um die „Kooperation von Kopf und Körper“ oder unter dem Motto „Das rechnet sich“ um Mathematik.

Die Schulen können diese Module für ihre Jahrgangsstufen 8 bis 10 „buchen“. „Das geht immer nur in enger Zusammenarbeit“, weiß Sinagowitz aus langjähriger Erfahrung. „Wir arbeiten grundsätzlich in Kleinstgruppen. Das ist mir sehr wichtig, denn ich arbeite ganz bewusst als evangelische Einrichtung. Da steht der einzelne Mensch im Mittelpunkt. Es geht nicht um die Produktion perfekter Arbeitsnehmer, sondern ich suche gemeinsam mit den Kooperationspartnern für jede Schülerin und jeden Schüler nach einer individuellen Lösung.“

Die Schulen sind die eine Seite der Kooperation. Hier arbeitet Sinagowitz verlässlich mit einer Haupt- zwei Real- und zwei Förderschulen in Gelsenkirchen und Buer zusammen. Die andere Seite der Kooperation sind die beiden Berufskollegs Augustastraße und Königstraße sowie die Betriebe. Über 20 Unternehmen sind Partner der Evangelischen Jugendberufshilfe. Dabei geht es nicht um Geld. Berufskollegs ebenso wie Unternehmen stehen für Hospitationen zur Verfügung oder kommen ins Kreiskirchenamt, um den Lerngruppen vom Berufsalltag zu berichten oder ein Bewerbungsgespräch mit ihnen zu üben. „Das sind Partner, die genau wissen, mit wem sie zusammenarbeiten“, sagt Sinagowitz, „und darauf bin ich stolz. Wir sind eine kleine, aber feine Einrichtung. Hier erhalten die Schülerinnen und Schüler Orientierung und Motivation und die Betriebe können Ausschau halten nach den so dringend benötigten Fachkräften. Da werden manchmal echte Talente entdeckt.“

So gesehen, steht die Evangelische Jugendberufshilfe sprichwörtlich „zwischen Tür und Angel“. Sie öffnet die Tür zwischen Schule und Arbeitswelt und sorgt dafür, dass die Menschen auf beiden Seiten zueinander finden können. Gar nicht romantisch, einfach nur um guter Arbeit willen. KB