GELSENKIRCHEN – Das „Modellkind“ war gestern. Viele können sich noch gut daran erinnern, dass sie zur Einschulung mit dem linken Arm über den Kopf hinweg an ihr rechtes Ohrläppchen greifen sollten. Solche Fertigkeiten waren definiert und einem bestimmten Alter zugeordnet– und es gab eine Fülle von Maßnahmen, wenn ein Kind noch nicht so weit war wie das statistische Modellkind.
Seit einigen Jahren wird umgelernt, gerade im Bereich der Früherziehung. In Nordrhein-Westfalen gab es 2003 die erste „Bildungsvereinbarung“, wahrscheinlich Ende 2012 wird eine neue Fassung verabschiedet. „Ganz kurz zusammengefasst geht es darin um einen Perspektivwechsel“, erklärte Sigrid Fastabend von der Fachberatung für Kindergärten im Kirchenkreis Gelsenkirchen und Wattenscheid, „weg von dem Blick auf die Defizite hin zu einem ganzheitlichen Blick auf jedes Kind, auf seine Stärken und sein Potenzial.“
18 Erzieherinnen aus der Evangelischen Kindergartengemeinschaft haben sich am 22. und 23. Februar unter der Leitung von Fastabend intensiv mit einer der Methoden beschäftigt, die diesen Perspektivwechsel umsetzen: „Bildungs- und Lerngeschichten“ von der Neuseeländerin Margret Carr.
Spannend fanden sie es allemal. „Es ist eine gute Möglichkeit, sich mit den Lernschritten von Kindern intensiver auseinander zu setzen“, meinte Claudia Fleiss. Interessant sei es, in dieser Weise jedes Kind sehr umfassend zu beobachten, so Dagmar Zäuner und Andrea Stürmer ergänzte: „Genau beobachtet haben wir die Kinder schon immer. Doch die Methode hilft dabei, sich diese Beobachtungen bewusst zu machen und zu verschriftlichen.“
Tatsächlich fordert die Methode viel Schreibarbeit: Wofür sich ein Kind interessiert, wie es beobachtet und neue Erfahrungen verarbeitet, all das und noch viel mehr muss schriftlich dokumentiert werden. „Lässt sich das im Kindergarten-Alltag umsetzen?“ fragte sich nicht nur Annette Bonner. Fastabend äußerte großes Verständnis für diese Bedenken. „Für das Qualitätsmanagement, für die Integrationsarbeit, für verschiedene Lernprogramme und nun auch noch hier werden von unseren Kindergärten umfangreiche schriftliche Dokumentationen verlangt. Gleichzeitig steht uns eher weniger als mehr Personal zu Verfügung.“ Die Fachberaterin stellt den 27 Evangelischen Kindergärten verschiedene Methoden vor und will mit ihnen gemeinsam daran arbeiten, sie alltagstauglich weiter zu entwickeln.