GELSENKIRCHEN – Seit einigen Wochen ist es amtlich: Mit der Buerschen Zeitung verliert Gelsenkirchen am 30. September eine Tageszeitung. Mit der Westdeutschen Allgemeinen (WAZ) wird dann nur noch eine Zeitung über Lokales aus der Ruhrgebietsmetropole berichten. „Dann gibt es hier ein Meinungsmonopol“, sagte Journalismus-Professor Dr. Karl-Martin Obermeier von der Fachhochschule Gelsenkirchen auf einer Podiumsdiskussion im Gemeindehaus der Kirchengemeinde Buer an der Apostelkirche. Die Gewerkschaft ver.di hatte zu der Solidaritätsveranstaltung eingeladen. „Buer braucht die Buersche Zeitung!“ sagte Gemeindepfarrerin Katrin Göckenjan zu den etwa 150 Teilnehmenden. Das Gelsenkirchener Traditionsblatt hätte in diesem Jahr sein 125-jähriges Jubiläum gefeiert.
„Pressefreiheit und publizistische Meinungsvielfalt sind konstitutiv für unsere Demokratie“, sagte Obermeier. „Ein Verleger kann eine Zeitung nicht nach Gutsherrenart schließen“, so der Professor, der schon in den 70er Jahren die Vermutung formuliert hatte, dass WAZ und Ruhrnachrichten das Ziel verfolgten, das Ruhrgebiet unter sich aufzuteilen. In dieselbe Richtung gingen Vermutungen des Medienwissenschaftlers Horst Röper: „Die Schließung der Buerschen Zeitung ist untypisch für einen solchen Vorgang: Es gab von Verlagsseite in der letzten Zeit keinerlei Bemühungen um eine Auflagensteigerung“, sagte er. „Mit der Schließung betreibt der Bauer-Verlag eine Wertevernichtung.“ Röper sagte einen Qualitätsverlust der Lokalberichterstattung in der WAZ voraus.
Nach Gewerkschaftsinformationen gibt es keine wirtschaftlichen Gründe für die Zeitungsschließung. Auch 2006 würde ein Überschuss von 55.000 Euro erwartet. Mit dem Ende der Gelsenkirchener Ausgabe der Ruhrnachrichten zum 31. März habe die Buersche Zeitung sogar etwa 1.000 Abonnenten hinzugewonnen, hieß es. „Die Stadt verliert nicht nur eine Zeitung, sondern auch 20 Arbeitsplätze“, sagte Oberbürgermeister Frank Baranowski. „Die Presse hat immer wieder sehr kritisch das Verhalten der Kirche als Arbeitgeberin in den Blick genommen“ sagte Superintendent Rüdiger Höcker am Rande der Veranstaltung. „Es ist doch sehr bedenklich, dass es keine Berichte in den regionalen Zeitungen gibt, wenn ein Verleger seine Angestellten entlässt“, kritisierte er.
Das Publikum beteiligte sich mit emotionalen Beiträgen an der Diskussion. „Ich bin mit der Buerschen aufgewachsen; schon meine Großeltern und Eltern hatten diese Zeitung“, erinnerte eine ältere Dame an die lange Tradition des Blattes. Der Gitarrist Thomas Schettki beklagte, dass schon jetzt ein Qualitätsverlust bei der kulturellen Berichterstattung in der WAZ festzustellen sei. „Für uns Kulturschaffende wäre die Schließung der Buerschen Zeitung eine Katastrophe“, sagte er. AR