GELSENKIRCHEN – Wen haben wir als Evangelische Kirche eigentlich im Blick, wenn wir zum ‚Familiengottesdienst‘ einladen? Sind unsere Angebote wirklich auf die Bedürfnisse von Familien abgestimmt? Welche Rolle spielt die Familie bei der Taufe? Und nehmen wir bei unserem Eintreten für Gerechtigkeit wahr, was Familien heute brauchen? Die so genannte „Hauptvorlage“ der Evangelischen Kirche von Westfalen (EKvW) gibt auf gut 80 Seiten „Impulse zu Fragen der Familie“, wie es im Untertitel heißt. Ebenso wie in Minden und Lübbecke, Paderborn oder Siegen haben auch in Gelsenkirchen und Wattenscheid alle Presbyterien und viele weitere gemeindliche und kreiskirchliche Gremien diese Impulse gelesen und sich Gedanken darüber gemacht, wie Evangelische Kirche heute Familie heute versteht und wahrnimmt. Sie haben ihre Ergebnisse als Stellungnahmen zur EKvW-Hauptvorlage festgehalten und der gestrigen Kreissynode vorgelegt. Deren Aufgabe bestand darin, diese Stellungnahmen zu bündeln und einen gemeinsamen kreiskirchlichen Beschluss darüber zu fassen, der wiederum der nächsten EKvW-Landessynode vorgelegt wird.
Die vielen Papiere und Beschlüsse sind das eine. Doch bei einer EKvW-Hauptvorlage gilt in erster Linie: Der Weg ist das Ziel. Die Familie zum Thema zu machen, sie in den Mittelpunkt zu stellen, die eigene Praxis im Blick auf Familie zu reflektieren, das war und ist der entscheidende Impuls der Hauptvorlage 2013.
Im gemeinsamen Beschluss der Synode ist festgehalten, dass der Evangelische Kirchenkreis Gelsenkirchen und Wattenscheid das funktionale Familienverständnis begrüßt, das in der der Hauptvorlage so formuliert ist: „Familie ist da, wo Menschen dauerhaft und generationenübergreifend persönlich füreinander einstehen und Verantwortung übernehmen.“* Diese Abkehr vom klassischen evangelischen Familienbild (lebenslang verheiratete Eltern und ihre Kinder) entspräche der gemeindlichen Wirklichkeit und weite den Blick auf alle Formen familiären Zusammenlebens. Die Kreissynode ist noch einen Schritt weiter gegangen und stellt bei der EKvW den Antrag „auch gleichgeschlechtlichen Paaren den Weg zur öffentlichen kirchlichen Amtshandlung, der Trauung, zu öffnen.“ Bisher ist für gleichgeschlechtlich Liebende lediglich eine nichtöffentliche Andacht vorgesehen. Die Synode strebt hier eine völlige Gleichstellung mit der kirchlichen Trauung an.
Zudem weist die Kreissynode in ihrem Beschluss auf die besondere Situation des Ruhrgebietes hin, in der zunehmend Familien entstehen, deren Mitglieder verschiedenen Religionen angehören. Um ihnen den Umgang damit im Alltag zu erleichtern „bedarf es eines verstärkten interreligiösen Dialogs auf allen Ebenen.“ Zudem müsse dafür zusätzliche Kompetenz in der Seelsorge geschaffen werden.
Die Beschlussvorlage zum Schwerpunktthema Familie wurde mit großer Mehrheit (7 Nein, 1 Enthaltung) angenommen.
Patenamt
Bisher muss nach dem Recht der Evangelischen Kirche von Westfalen (EKvW) mindestens ein Pate oder eine Patin Mitglied der Evangelischen Kirche sein. Nur unter dieser Bedingung dürfen weitere Paten aus anderen christlichen Konfessionen dazu kommen. Mit der ‚Patenbescheinigung‘ muss also mindestens ein Pate nachweisen, dass er oder sie
- getauft ist
- konfirmiert ist
- als Mitglied der Evangelischen Kirche eingetragen ist.
Einen Paten zu finden, der diese Voraussetzungen erfüllt, fällt manchen Familien heute schwer. Deshalb hat die EKvW nach Möglichkeiten gesucht, diese Vorgabe zu erweitern. Nun ist und bleibt das Patenamt ein kirchliches Amt. Es geht dabei nicht, wie viele meinen, um das Versprechen, das Kind adoptieren, falls den Eltern etwas zustößt. Der Pate soll dem Kind von seiner Taufe erzählen und dazu beitragen, ihm das Vertrauen in den dreieinigen Gott als unerschütterlichen Grund seines Lebens zu vermitteln. Das ist Menschen anderer Religionen oder Agnostikern kaum zuzumuten.
Deshalb sieht das neue Kirchengesetz, über das die Kreissynode gestern zu befinden hatte, keine Beliebigkeit in der Patenwahl vor, aber doch eine deutliche Erleichterung: Wer einer Kirche angehört, die die so genannte „Magdeburger Erklärung“ von 2007 unterzeichnet hat, kann uneingeschränkt Pate werden. In dieser Erklärung haben elf Kirchen die wechselseitige Anerkennung der Taufe ausgesprochen. Dazu gehören auch die Römisch-Katholische Kirche, die Evangelisch-methodistische Kirche und die Orthodoxe Kirche in Deutschland.
Die Kreissynode hat dieser Änderung des Kirchengesetzes zugestimmt. Die nächste Landessynode der EKvW (November 2013) wird es voraussichtlich endgültig beschließen.
Gebäudeplanung
Angesichts der demografischen Entwicklung (die Einwohnerzahlen der Städte schrumpfen, Zuzüge vermehrt aus traditionell eher muslimisch oder katholisch geprägten Ländern) zeichnet sich bereits seit einigen Jahren ab, dass die Evangelischen Kirchengemeinden in Gelsenkirchen und Wattenscheid ihre Gebäude nicht alle werden halten können.
Diese Entwicklung einfach auf sich zukommen zu lassen, hätte bedeutet, die Verteilung der kirchlichen Gebäude in der Fläche und damit ihre Erreichbarkeit dem Zufall zu überlassen. Ein Beispiel: Die Kirchengemeinde Heßler (derzeit 2.700 Gemeindemitglieder) wäre innerhalb der nächsten zehn Jahre gezwungen, die Heßlerkirche und das Gemeindehaus zu schließen, weil die Kirchensteuerzuweisung sich nach der Anzahl der Gemeindemitglieder richtet und so gering ausfallen wird, dass damit die Unterhalt und Reparaturen nicht mehr bezahlt werden könnten. Damit entstünde im Westen der Stadt Gelsenkirchen eine ziemlich große Lücke (zwischen der Kreuzkirche in Schalke und der Paul-Gerhardt-Kirche in Horst) ohne evangelische Anlaufstelle.
Um den Rückbau planvoll zu gestalten und dennoch ein erreichbares Netz zu erhalten, hatte die Kreissynode 2012 beschlossen, bestimmte Kirchen und Gemeindehäuser in Zukunft gemeinsam zu finanzieren. Die sechs Kooperationsräume (je eine bis vier Kirchengemeinden) erhielten den Auftrag, die zukünftig gemeinsam zu erhaltenden Gebäude zu bestimmen. Es sollten sechs Gebäude pro Kooperationsraum in Gelsenkirchen sein, acht im Kooperationsraum Wattenscheid. Dazu kommen noch die historischen Kleinode Bleckkirche (Gelsenkirchen-Bismarck) und Alte Kirche (Wattenscheid-Mitte).
Klar war bei diesem Arbeitsauftrag auch: Wenn 40 Gebäude gemeinsam im Vorwegabzug der dafür benötigten Kirchensteuermittel finanziert werden, dann steht den Gemeinden für den Erhalt weiterer Gebäude zwangsläufig weniger Geld zur Verfügung. Also: Kirchen und Gemeindehäuser, die nicht auf der so genannten „Positivliste“ stehen werden, müssen mittel- bis langfristig (je nach Bauzustand) geschlossen, verkauft, vermietet oder abgerissen werden.
Gestern hat die Kreissynode einen (bzw. sechs) Zwischenbericht(e) zum Stand dieser Beratungen erhalten.
Klar ist (und war von Beginn an) die Lage im Kooperationsraum Nordwest (Kirchengemeinden Heßler, Horst und Beckhausen). Hier gibt es bereits nur noch sechs Gebäude (pro Gemeinde 1 Kirche und 1 Gemeindehaus).
Bisher noch nicht geklärt ist die Lage in den Kooperationsräumen Südost (Kirchengemeinden Apostel und Bulmke) und Wattenscheid (Kirchengemeinden Wattenscheid, -Günnigfeld, -Höntrop und -Leithe). Hier stellt sich die vorfindliche Verteilung der Gebäude in der Fläche bereits ungünstig dar, so dass es für die beteiligten Gemeinden schwierig ist, tragfähige Konzepte zu entwickeln.
Erfreut zur Kenntnis genommen hat die Kreissynode gestern, dass drei Kooperationsräume Einigungen erzielen konnten.
Der Kooperationsraum Nord (Trinitatis- und Lukas-Gemeinde Hassel) hat sich entschieden für: Lukaskirche (Hassel-Nord), Gemeindezentrum Markus (Hassel-Süd), Adventskirche mit angrenzenden Räumen (Scholven), Apostelkirche und Gemeindehaus und (vorerst) Stephanushaus (alle drei Buer-Mitte).
Der Kooperationsraum Nordost (Christus-Kirchengemeinde Buer) hat sich entschieden für: Dreifaltigkeitskirche und Gemeindehaus (Erle), Matthäuskirche und Gemeindehaus (Middelich), Pauluskirche (Resse), ggf. mit eingebauten Gemeinderäumen. Die Christus-Gemeinde möchte die Thomaskirche erhalten und überlegt, wie das Gemeindezentrum in Zukunft genutzt werden kann. Sie möchte an ihrem Nutzungsvertrag im Ökumenischen Zentrum St. Ida (Resser Mark) als besonderem Projekt der Gemeinde festhalten, allerdings aus eigenen Mitteln (Sonderfall, da der Gebäudekomplex der katholischen Gemeinde gehört).
Der Kooperationsraum Südwest (Kirchengemeinden Gelsenkirchen-Mitte, Rotthausen und Schalke) hat sich entschieden für: Altstadtkirche und Gemeindehaus, Evangelische Kirche Rotthausen und Gemeindehaus, Kreuzkirche und Friedenskirche (beide Schalke) mit eingebauten Gemeinderäumen.
Damit steht in vier von sechs Kooperationsräumen umgekehrt auch weitgehend fest, welche Gebäude auslaufen oder abgegeben werden, wenn die Gemeinden ihre Unterhaltung bzw. Bauerhaltung aus eigenen Mitteln nicht mehr aufbringen können:
Hassel: Dietrich-Bonhoeffer-Haus (geht in die Bürgerstiftung über) und Markuskirche.
Scholven: Gemeindehaus
Buer-Mitte: Stephanuskirche
Resse: Gemeindehaus
Erle: Thomaszentrum
Schalke: Lutherhaus und Katharina-von-Bora-Haus
Die Kreissynode hat gestern nicht über einzelne Gebäude entschieden – das ist nach wie vor Aufgabe der Kooperationsräume. Aber sie hat beschlossen, dass Ende September (voraussichtlich am 30.9.) eine Sondersynode stattfinden wird. Bis dahin muss die endgültige Positivliste für alle Kooperationsräume stehen und die entsprechende Verschiebung der Kirchensteuer-Vorwegabzüge für die Haushaltsplanung dargestellt werden.
*Seite 11 in „Familien heute. Impulse zu Fragen der Familie“ (HG Kirchenleitung der Evangelischen Kirche von Westfalen, Bielefeld 2012), als Zitat aus den Familienpolitischen Leitlinien der Evangelischen Aktionsgemeinschaft für Familienfragen 2009