Die mit der Martin-Luther-Ausstattung

Sigrid Beer hält die Festrede beim Neujahrsempfang des Kirchenkreises

Sigrid Beer: „Inklusion beginnt für mich da, wo drei Rollatoren und ein Kinderwagen in den Bus müssen.“. FOTO: LANDTAG NRW

Sigrid Beer: „Inklusion beginnt für mich da, wo drei Rollatoren und ein Kinderwagen in den Bus müssen.“. FOTO: LANDTAG NRW

DÜSSELDORF – Nicht im Januar, sondern im Dezember lädt der Evangelische Kirchenkreis Gelsenkirchen und Wattenscheid zum Neujahrsempfang ein. Denn am 1. Advent beginnt das neue Kirchenjahr. Die Festrede ist als ‚evangelische Zeitansage‘ angelegt. Für den Empfang zum Kirchenjahr 2013/2014 freut sich Superintendent Rüdiger Höcker jetzt außerordentlich über die Zusage von Sigrid Beer. Sie wird Ausblick halten auf das nächste Thema der Reformationsdekade. 2014 lautet es: Reformation und Politik.

Ein wenig Reformation hat Sigrid Beer in der Evangelischen Kirche selbst mitgetragen. Denn sie war bereits in der Jugendarbeit engagiert, als der CVJM noch „Christlicher Verein Junger Männer‘ hieß. „Als erste weibliche Kreisvorsitzende war ich daran beteiligt, dass aus den jungen Männern junge Menschen wurden“, erinnert sie sich.

Das ist lange her. Heute ist Sigrid Beer für die Partei Bündnis90/Die Grünen Mitglied des Landtags von Nordrhein-Westfalen (NRW), Parlamentarische Geschäftsführerin, Schulpolitische Sprecherin und stellvertretendes Mitglied im Petitionsausschuss – um zunächst einmal nur ihre beruflichen Funktionen zu nennen. Dazu kommen ehrenamtliche Tätigkeiten: Unter anderem ist Beer Vorsitzende des Bezirksverbands ihrer Partei in Ostwestfalen-Lippe und nebenamtliches Mitglied der Kirchenleitung der Evangelischen Kirche von Westfalen (EKvW).


Ich kann mich gut ausbalancieren

Als Parlamentarische Geschäftsführerin ist sie für die rund 90 Mitarbeitenden der Grünen-Fraktion die Personal- und Verwaltungschefin. Sie legt gemeinsam mit den anderen Fraktionen die Tagesordnungen des Landtags fest und organisiert Prozesse und Diskussionen. Ihr Tag im Landtagsbüro beginnt um 7 Uhr und endet gegen 21 Uhr, „es sei denn, dass ich abends noch einen Termin habe, dann gehe ich etwas früher.“ Da die dreieinhalb Stunden Fahrt ins heimatliche Paderborn nicht jeden Tag zu bewältigen sind, hat sie ein Zimmer in Düsseldorf und fährt in der Regel erst am Freitag nach Hause, um sich um ihren Wahlkreis zu kümmern.

Trotz ihrer vielfältigen Funktionen macht die Abgeordnete keinen abgehetzten Eindruck. „Das kommt von meiner ‚Martin-Luther-Ausstattung‘, wie ich sie nenne. ‚Allein aus Gnade und ohn‘ all Verdienst‘ bin ich ein ausgeglichener Mensch. Ich schlafe gut, ich habe ein gutes Team, ich kann mich und meine Aufgaben gut ausbalancieren. Dafür habe ich aber nichts getan, das ist einfach so – und dafür bin ich sehr dankbar.“

Seit sie 1999 in die Partei der Grünen eingetreten ist, hat sie sich dort mit ihrem überzeugt evangelischen Hintergrund nie fremd gefühlt. „Wir sagen manchmal scherzhaft: Unsere Partei speist sich aus den zwei K-Gruppen. Damit sind einerseits die Altkommunisten gemeint und andererseits eben die aus der Kirche.“ Viele ihrer Parteifreunde haben ganz ähnliche Wurzeln wie sie selbst, die schon mit 13 Jahren im Kindergottesdienst und der gemeindlichen Jugendarbeit Verantwortung übernahm. „Es gibt bei uns eine hohe Akzeptanz für die, die als Grüne sagen: Ich bin Christ, das ist das, was mich trägt, auch im politischen Engagement.“


Keine innere Abhängigkeit

Ein Thema, das Sigrid Beer besonders am Herzen liegt, ist die Inklusion. Damit meint die Diplom-Pädagogin mehr als nur die Bildungsgerechtigkeit. „Inklusion beginnt für mich da, wo drei Rollatoren und ein Kinderwagen in den Bus müssen.“ Ihr geht es um „Teilhabe an der Gesellschaft trotz Handicaps.“ Ein solches Ziel entspreche ebenso dem christlichen Menschenbild wie der Sozialpolitik. „Dass es unterschiedliche Motivationen für das gleiche Ziel gibt, das können wir als Grüne gut aushalten.“

Sigrid Beer ist gerne Politikerin. Ihre Aufgaben sind derzeit so vielfältig, dass sie keine Gefahr sieht, in einer Routine zu versinken. „Aber ich fühle auch keine innere Abhängigkeit von der Politik. Was ich jetzt mache, das geht nur auf Zeit.“ Konkrete Pläne für die Zeit danach hat sie noch nicht – aber viel Engagement, das sich sozusagen in der Warteschleife befindet. „Wir haben ja heute ein ganz neues Zeitgefühl entwickelt. Mit 57 Jahren kann ich sagen: Ein Drittel meines Lebens liegt noch vor mir – so Gott will.“