GELSENKIRCHEN – 430 Personen hat Pfarrerin Dr. Zuzanna Hanussek vom Evangelischen Kirchenkreis seit 2011 auf ganz bescheidene, aber würdige Weise zur letzten Ruhe geleitet. Leider stellt sie in letzter Zeit fest, dass immer mehr Menschen „ordnungsbehördlich“ bestattet werden, die keineswegs zu den Ärmsten der Armen gehören. „Wir haben den Verein „Ruhe-Steine“ gegründet, damit mittellose und einsame Menschen nicht einfach verscharrt werden.“ Doch in der guten und vertrauensvollen Zusammenarbeit mit dem Referat Ordnung der Stadt ist ihr zunächst einmal aufgefallen, dass einige, die sie gemeinsam mit Pfarrer i.R. Hermann Zimmermann beisetzt, nicht nur einen festen Wohnsitz hatten, sondern auch ein Einkommen und Ersparnisse. Das einzige, was ihnen fehlte, war ein Mensch, der sich um ihre Beerdigung kümmerte. „Da wird es doch widersinnig“, findet sie. „Die Behörden ziehen das Vermögen ein, bezahlen die schlichteste Form der Beerdigung – und der Grabstein wird aus Spenden engagierter Mitbürger und überzeugter Christen finanziert.“ Dabei ist es gar nicht schwer, zu Lebzeiten Vorsorge zu treffen. „Man kann das mit einem Freund oder Nachbarn verabreden. Man kann auch direkt mit einem Bestatter einen regelrechten Vertrag schließen und genau festlegen, wie die letzte Ruhe und das Geleit dorthin gestaltet werden sollen.“
Der Tod wird zum schlimmsten Tabu
Hanussek betreut das kreiskirchliche Referat Altern und begegnet dabei vielen alten und hochbetagten Menschen. Immer wieder ermutigt sie gerade die Alleinstehenden dazu, Vereinbarungen für den Todesfall zu treffen. „Doch ich bekomme oft zu spüren: Der Tod ist in einem Maße tabuisiert, dass viele ihn einfach ausblenden. Sie wollen sich nicht damit befassen und sie tun es auch nicht.“ Die Pfarrerin findet das sehr bedenklich. „Der Tod ist ja nicht einfach ein Einzelthema, das einmal im öffentlichen Gespräch sein kann und dann wieder nicht. Was sagt das über unsere Gesellschaft, über unsere Einstellung zum Leben aus, wenn der Tod darin keinen Platz hat?“
Keinen Platz hat der Tod zunehmend auch in Familien – zumindest nicht, wenn die Ersparnisse des oder der Verstorbenen nicht reichen für eine „anständige“ Beerdigung. Hanussek hat schon erlebt, dass nahezu hundert Personen dem Trauerzug bei ihren Beerdigungen für Einsame folgten. „Immer öfter gibt es sogar eine ganze Reihe von Angehörigen, doch sie überlassen ihre Verstorbenen der Sammelbestattung und unseren Spendern die Kosten für den Ruhe-Stein, statt eine Sozialbestattung zu beantragen.“ Otto Losch ist Teamleiter der ‚Hilfen bei Einkommensdefiziten‘. „Wenn Hinterbliebene nicht in der Lage ist, die Kosten einer Bestattung für einen Angehörigen aus eigenem Einkommen und Vermögen zu bezahlen, kann die Übernahme von angemessenen Bestattungskosten im Rahmen der Sozialhilfe beantragt werden“, erklärt er. „Welche Kosten angemessen sind, erklärt das Sozialamt auf Nachfrage. Die Modalitäten einer angemessenen Bestattung sind allerdings zwischen dem Hinterbliebenen und dem Bestatter abzustimmen.“ Losch weiß auch, was Angehörige zögern lässt, einen Antrag zu stellen. Seine Mitarbeiterinnen müssen prüfen, wer in welchem Umfang in der Lage ist, sich an den Kosten zu beteiligen. Das geht nur, wenn die Hinterbliebenen offen legen, was sie verdienen und besitzen. „Es gibt gesetzliche Vorgaben, an die wir uns zu halten haben. Danach wird ermittelt, wer mit welchem Einkommen oder Vermögen wie viel beisteuern muss.“
Ruhe-Steine nicht mehr finanzierbar?
Dabei wird niemand ans Hungertuch gebracht. Das Referat Soziales übernimmt die restlichen Kosten oder bei wirklich armen Familien auch den gesamten Betrag. Seit 2006 ist Losch mit diesem Bereich befasst. Die Bearbeitung dieser Anträge sei bis heute deutlich problematischer geworden. „Es wird schwieriger, die Hinterbliebenen zu erreichen. Immer häufiger vertreten sie die Ansicht, die Behörde müsse für alle Kosten aufkommen.“ In den ersten zehn Monaten dieses Jahres gab es 165 Anträge auf Sozialbestattung. Dafür mussten 548 „Verpflichtete“ geprüft werden. „Verpflichtet“ sind, in dieser Rangfolge: Ehegatten, Lebenspartner, Eltern, Geschwister sowie volljährige Kinder und Enkel. Daran ändert übrigens auch das Ausschlagen der etwaigen Erbschaft nichts.
„Unsere Gesellschaft wird immer älter und damit nimmt auch die Zahl der Menschen zu, die allein leben. Wenn sie trotz guter Einkommensverhältnisse nicht selbst vorsorgen und Angehörige sich nicht mehr verantwortlich fühlen, dann könnte die ordnungsbehördliche Sammelbestattung zum Regelfall werden“, sorgt sich Pfarrerin Hanussek. Eine Konsequenz wäre, dass der Verein an die Grenzen seiner Möglichkeiten stoßen könnte, um die vielen Ruhe-Steine zu finanzieren. Doch für die Pfarrerin geht es um mehr: „Wir müssen den Tod ins Leben zurück holen. Eine Gesellschaft, die ihn verdrängt und die sterblichen Überreste ihrer Mitmenschen möglichst unaufwändig beseitigen will, verliert an Lebensqualität“, ist sie überzeugt.
ZUM HINTERGRUND
Früher waren „ordnungsbehördliche Bestattungen“ eine trostlose Sache. Wer arm war und keine Angehörigen hatte, dessen sterbliche Hülle wurde auf Kosten der Stadt verbrannt und die Urne „bei Gelegenheit“ auf einem Gräberfeld versenkt, ohne Spuren zu hinterlassen.
Hier hat sich seit 2011 ganz viel zum Besseren gewendet. Die Initiative dazu ging vom Evangelischen Kirchenkreis aus. Inzwischen gibt es alle drei Monate in der Propstei- oder der Altstadtkirche eine gemeinsame Trauerfeier für alle, die in diesem Zeitraum unbedacht oder unbeachtet gestorben sind. Die WAZ und der Stadtspiegel sorgen kostenlos für eine große Anzeige mit den Namen aller Verstorbenen. Viele erfahren erst auf diesem Weg vom Tod einer alten Bekannten oder eines weitläufigen Verwandten und nehmen an dem ökumenischen Gottesdienst teil, um Abschied zu nehmen.
Auch die namenlosen Bestattungen auf dem Hauptfriedhof Buer gehören jetzt der Vergangenheit an. Zweimal im Monat geleiten Pfarrerin Dr. Zuzanna Hanussek (evangelisch) und Pfarrer i.R. Hermann Zimmermann (katholisch) die Urnen mit den sterblichen Überresten der unbedacht Verstorbenen in einem Trauerzug zum Gräberfeld auf dem Hauptfriedhof. Dort gibt es für jede und jeden Einzelnen eine Bestattungszeremonie mit Fürbitte und Aussegnung. Anschließend erhält jedes Grab einen so genannten Ruhe-Stein mit dem vollen Namen des Verstorbenen sowie seinem Geburts- und Sterbedatum.
Die Kosten dafür trägt der ökumenische Verein „Ruhe-Steine“ e.V. Er ist aus der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen und Gemeinschaften Gelsenkirchen (ACK) hervorgegangen. „Wir wollen nicht, dass Menschen, weil sie arm gestorben sind, namenlos werden“, heißt es auf der Karte, mit der die ACK dazu einlädt, sich daran zu beteiligen.
Jeder Ruhe-Stein kostet 70 Euro und wird ausschließlich mit Spendengeldern finanziert.Spenden in jeder Höhe sind willkommen. Konto 1128 3039, Stichwort „Unbedacht Verstorbene“, Bank im Bistum Essen, BLZ 360 602 95.
Beratung zur Sozialbestattung gibt es unter 169 22 217 und 169 25 51 oder sozialbestattungen@gelsenkirchen.de
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