WATTENSCHEID – 20 Jahre lang war sie ein Erkennungsmerkmal der Kreuzkirche in Wattenscheid-Leithe – jetzt ist die Glocke „Auguste“ heimgekehrt nach Berlin. Auf dem Gelände der ehemaligen Gnadenkirche am Invalidenfriedhof steht ein Glockenturm für sie bereit.
Am 9. Februar wurde die Glocke von ihrem Podest auf der Wiese vor der Leither Kreuzkirche mit Hilfe eines Kranwagens auf einen Laster gehoben. Pfarrerin Ute Riegas-Chaikowski und der Evangelische Kindergarten „Unter’m Regebogen“ hatten sich spontan zu einer kleinen Feier verabredet, um sich von Auguste zu verabschieden. „Eine Glocke ist zum Läuten da“, so Riegas-Chaikowski. „Deshalb war das Leither Presbyterium sofort bereit, die Glocke an ihren ursprünglichen Wirkungsort zurückzugeben.“
Bochum-Chikago-Berlin-Thüringen-Bochum und nun wieder Berlin – das sind die Stationen der 108-jährigen Dame in Kurzfassung. „Auguste“ wurde 1892 im Bochumer Verein gegossen als mittlere Glocke von dreien für die Gnadenkirche in Berlin-Mitte. Zunächst wurde das Ensemble als Zeugnis vollendeter Gießkunst bei der Weltausstellung in Chikago 1893 ausgestellt, bevor es 1894 seinen Platz im Glockenturm fand.
„Auguste“ heißt die Glocke, weil sie der letzten deutschen Kaiserin Auguste Victoria gewidmet ist. Sie trägt die Inschrift „Auguste Victoria Kaiserin und Königin“ und bildet das königliche Wappen ab. Weitere Inschriften lauten: „Römer XII.12. Seid fröhlich in Hoffnung, geduldig in Trübsal, haltet an am Gebet.“ Dazu „Fulgura frango“. Das ist ein Zitat aus Schillers Widmung seines Gedichtes „Die Glocke“ und bedeutet „Ich breche die Blitze“. Die Stahlglocke misst fast 1,6 Meter im Durchmesser und bringt stattliche 1.600 Kilogramm auf die Waage.
Im Krieg wurde die Gnadenkirche zerstört, 1967 wurde die Ruine auf Anordnung des DDR-Regimes gesprengt. Während die beiden anderen Glocken deutliche Risse davontrugen, überstand Auguste sogar die Sprengung ohne sichtbare Schäden. Dennoch landete sie im Zuge der Abräumarbeiten auf einem Schrottplatz. Dort entdeckte sie ein Pfarrer aus Berlin-Malchow, kaufte sie und stellte sie in seinen Pfarrgarten. Er lud die Gnadenkirchengemeinde ein, ihre Glocke zu besuchen – doch der Besuch wurde verschoben und geriet schließlich in Vergessenheit.
Da er keinen Käufer für die Glocke fand, nahm der Pfarrer sie sogar beim einem Stellenwechsel mit nach Stadtilm in Thüringen. 1990 erwarb Pfarrer Werner Chicoll die Glocke für die Evangelische Kirchengemeinde Wattenscheid-Leithe. Er ließ sie an ihrem Ursprungsort in Bochum (inzwischen war der Bochumer Verein Bestandteil des Krupp-Konzerns) restaurieren und stellte sie dann vor der Kreuzkirche auf. Viele Konfirmanden, Trau- und Taufgesellschaften haben sich für die Erinnerungsfotos um die Glocke gruppiert, so dass sie Wattenscheider Familienalben häufig vorkommen wird.
Bereits beim Kauf der Glocke war vertraglich festgelegt worden: Wenn die Rechtsnachfolgerin der Gnadenkirchengemeinde, heute die Evangelische Kirchengemeinde Sophien Berlin, einen Läuteort für die Glocke findet, wird Auguste zurück gegeben. Nun hat die Gemeinde mit Hilfe des Fördervereins Invalidenfriedhof einen Glockenturm errichtet auf dem Invalidenfriedhof – und damit genau dort, wo die Gnadenkirche einmal stand. Dort wird Auguste demnächst wieder läuten –und kehrt damit nach 55 Jahren zu ihrem Bestimmungsort und zu ihrem eigentlichen Zweck zurück.
Die Evangelische Kirchengemeinde Wattenscheid-Leithe wird an der Stelle, wo Auguste über 20 Jahre lang gestanden hat, ein Blumenbeet pflanzen. Voraussichtlich wird es in Form einer Glocke angelegt.