GELSENKIRCHEN – Ein kurzer Triller, eine Tonleiter abwärts, das ganze dreimal – schon erkennt jeder die Toccata d-Moll, das wohl berühmteste Orgelwerk aller Zeiten, ein Markenzeichen von Johann Sebastian Bach. Jedoch ließ der Titel „Wie, das ist nicht von Bach?“ auf dem Programmzettel des letzten „Ausklang“-Orgelkonzerts das Publikum einen weit verbreiteten Irrtum erahnen. „Viele Werke, die man Bach zuschreibt, sind zwar in seinen Handschriften überliefert, aber er hat sie nicht komponiert“, erklärte Organist Lothar Fischer zu Beginn, „die acht kleinen Präludien, von denen Sie heute zwei hören, sind von einem Schüler Bachs.“
Und auch die berühmte Toccata und Fuge d-Moll stammt in Wirklichkeit nicht von ihm selbst: „Wahrscheinlich hat Johann Peter Kellner einmal eine Improvisation von Bach gehört und die dann aufgeschrieben. Wir können nicht nachweisen, dass Kerner der Komponist ist, auch nicht, dass Bach nicht der Komponist ist, aber es ist sehr wahrscheinlich.“ Die häufigen Tempowechsel seien jedenfalls überaus untypisch für Bach, genauso die nur sehr wenigen Einsätze des Themas. „Warum sollte Bach, der Großmeister des vielstimmigen Kontrapunkts, eine Fuge komponieren, in der nur in fünf der 97 Takte alle Stimmen zusammen erklingen? Das ist so ähnlich, als würde eine Mauer nicht aus Steinen bestehen mit Mörtel dazwischen, sondern aus sehr viel Mörtel und nur ab und zu einem Stein.“ Ein Herr Ringk, ein Schüler von Johann Peter Kellner, schrieb diese Toccata ab und versah sie mit dem Vermerk „von Bach“ – also musste die Nachwelt annehmen, dass Bach dieses Stück komponiert hätte.
Diese sicher überraschende Erkenntnis tat dem Hörgenuss in der Stephanuskirche selbstverständlich keinen Abbruch. Mit der berühmte Toccata und Fuge d-Moll und zwei der „Acht kleinen Präludien und Fugen“ ließ Lothar Fischer die ganze Kunstfertigkeit des Komponisten hörbar werden – auch wenn dieser nicht sicher bekannt ist. Diese Werke wechselten sich – passend zur Jahreszeit – mit frühlingshaften Chorälen ab, unter anderem mit „Wie lieblich ist der Maien“ und „Die beste Zeit im Jahr ist mein“. Mit spielerischen, tänzerischen Begleitungen ergänzte Fischer das mitsingende Publikum. Mit „Segne und behüte uns durch deine Güte“ endete dieser „Ausklang“ der Orgelwerke, von denen man lange annahm, sie stammten von Johann Sebastian Bach.