Wege, die in kein Schema passen

Häusliche Entlastung für Angehörige geistig veränderter Menschen

Bieten häuslichen Entlastungsdienst an: (von links) Elke Lüning-Makschin (Koordinatorin des Entlastungsdienstes in Bulmke), Michaela Lukas, Pfarrerin Dr. Zuzanna Hanussek, Pfarrer Ernst Udo Metz und Claudia Scharmann. FOTO: CORNELIA FISCHER

Bieten häuslichen Entlastungsdienst an: (von links) Elke Lüning-Makschin (Koordinatorin des Entlastungsdienstes in Bulmke), Michaela Lukas, Pfarrerin Dr. Zuzanna Hanussek, Pfarrer Ernst Udo Metz und Claudia Scharmann. FOTO: CORNELIA FISCHER

GELSENKIRCHEN – Wenn der Vater allein zu Hause bleibt, verlässt er schon mal die Wohnung und findet ohne Hilfe nicht mehr zurück. Großmutter stellt gerne den Herd an, ohne dass etwas auf der Platte steht oder der hochbetagte Ehemann findet sich auch im eigenen Wohnzimmer nicht mehr zurecht. Nicht jeder Mensch, der sich mit dem Alter geistig verändert hat und sich deswegen von außen betrachtet oft unlogisch verhält, lebt in einem Pflegeheim. Ihre Familien oder auch einzelne Angehörige sind wahre Helden des Alltags. Doch wer rund um die Uhr für einen Angehörigen Verantwortung übernimmt, kommt irgendwann an seine Grenzen. Da wird es schwierig, auch nur zum Friseur zu gehen oder einen Arzttermin wahrzunehmen, da wächst die Erschöpfung, bis es irgendwann einfach nicht mehr weiter geht.

„Das Problem ist oft, dass die Angehörigen viel zu spät die Hilfen abrufen, die ihnen zur Verfügung stehen“, weiß Michaela Lukas. „Teilweise wissen sie gar nicht, was es alles gibt, teilweise befürchten sie Mehrkosten – und viele schämen sich auch, zuzugeben, dass sie es allein nicht mehr schaffen.“

Lukas ist Altenpflegerin und gerontopsychiatrische Fachkraft. Sie hat im Auftrag der Evangelischen Kirchengemeinde Gelsenkirchen-Horst die Koordination des neuen „Häuslichen Entlastungsdienstes für Angehörige geistig veränderter Menschen (Demenz) übernommen. Das Prinzip ist einfach: Wer Entlastung braucht, meldet sich bei ihr. Sie klärt in ausführlichen Gesprächen die Einzelheiten und schon kann es losgehen: Nach Absprache oder zu regelmäßigen Terminen kommt eine ehrenamtliche Helferin ins Haus und bleibt bei dem Patienten: Sie unterhält sich mit ihm, hat aber auch gelernt, auf einer nicht-kognitiven Ebene zu kommunizieren. Sie weiß, was er oder sie gerne macht und was er nicht mag und kann ihm verschiedene gemeinsame Unternehmungen anbieten.

Die Aufwandsentschädigung beträgt 8 Euro pro Stunde. Was noch viel zu wenig bekannt ist: Bereits in der Pflegestufe Null übernimmt die Pflegeversicherung diese Kosten. Pflegestufe Null, das bedeutet: Es muss die ärztliche Diagnose „Demenz“ vorliegen und der Medizinische Dienst der Krankenkassen muss eine „eingeschränkte Alterskompetenz“ bescheinigt haben.

Acht Frauen aus der Evangelischen Kirchengemeinde Horst haben eine ausführliche Schulung für diesen Entlastungsdienst absolviert. Claudia Scharmann ist eine von ihnen: „Mir war es wichtig, die geistigen Veränderungen verstehen zu lernen“, sagte sie. Für Pfarrerin Dr. Zuzanna Hanussek, die die Schulung geleitet hat, ist genau dieser Punkt entscheidend: „Die Gesellschaft und die Medizin will uns einreden, dass solche Veränderungen im Alter nur schrecklich sind. ‚Dement’, das bedeutet übersetzt ‚geistlos’. Diese Wertung wird den Betroffenen nicht gerecht. Sie sind nicht geist-los, sondern ihr Geist hat sich verändert und geht manchmal Wege, die in kein Schema passen.“ Pfarrerin Hanussek ist promovierte Gerontologin und beim Evangelischen Kirchenkreis Gelsenkirchen und Wattenscheid für das Themengebiet „Altern“ zuständig.

Pfarrer Ernst Udo Metz von der Kirchengemeinde Horst freut sich, dass es nun losgehen kann. „Wir haben schon länger nach einem Projekt gemeindlicher Diakonie gesucht. Neben dem Diakoniewerk mit seinen professionellen Kräften haben wir auch in unseren Gemeinden viel ehrenamtliche Kompetenz – und tätige Nächstenliebe gehört untrennbar zur Verkündigung und zum christlichen Glauben.“ Er weiß, dass es viele gibt, die Entlastung in der häuslichen Pflege brauchen. „Sie gehen damit nicht hausieren, sondern wir müssen sie aufsuchen und ihnen diese Hilfe anbieten.“ Das Angebot ist nicht auf den Stadtteil Horst begrenzt. „Wir können auch in Beckhausen bis hin nach Buer tätig werden.“

Der Horster Entlastungsdienst ist eine Zweigstelle der Evangelischen Kirchengemeinde Bulmke. Die Mitarbeitenden aus beiden Gemeinden werden ständig begleitet und fortgebildet. So haben sie die Gelegenheit, ihren Dienst zu reflektieren und zu verbessern und Erlebtes zu verarbeiten. „Auch andere Einrichtungen bieten häusliche Entlastungsdienste an“, so Pfarrerin Hanussek, „aber diese Anbieter verkaufen zugleich Pflegeleistungen. Die beiden Kirchengemeinden wollen nur für Entlastung sorgen und stehen den Ehrenamtlichen verlässlich zur Seite.“

Kontakt Horst: Michaela Lukas, Industriestraße 38, 45899 Gelsenkirchen-Horst (Gemeindebüro), 0209 – 557 38 dienstags 14-16 Uhr, sonst 0157 355 409 93.

Kontakt Bulmke: Elke Lüning-Machschin, Florastraße 119, 45888 Gelsenkirchen-Bulmke (Gemeindehaus), 0209 – 215 34 donnerstags 16-18 Uhr, sonst 0151 156 666 56.