Ganz besondere Beziehungen

Die Meta-Porträts bringen behinderte und nicht behinderte Menschen zusammen

Auch Schalke Legende Martin Max (links) hat bei den Meta-Filmporträts mitgemacht – gemeinsam mit Sven Schnitzler von den Gelsenkirchener Werkstätten. FOTO: THOMAS HENKE/GELSENKIRCHENER WERKSTÄTTEN

Auch Schalke Legende Martin Max (links) hat bei den Meta-Filmporträts mitgemacht – gemeinsam mit Sven Schnitzler von den Gelsenkirchener Werkstätten. FOTO: THOMAS HENKE/GELSENKIRCHENER WERKSTÄTTEN

GELSENKIRCHEN – „Meta“ im Sinne von metaphysisch, von Umwandlung und Wechsel. Oder anders: ein behinderter und ein nicht behinderter Mensch bilden hier zusammen ein Filmpaar, mal steht der eine hinter der Kamera und fragt und dreht, danach der andere. Eine ganz besondere Beziehung entsteht so zwischen den beiden „Mitspielern“.

Prof. Thomas Henke von der FH Bielefeld suchte vor einigen Jahren nach Möglichkeiten, bei künstlerischen Porträts seine eigenen Vorstellungen der Darstellung hinten anzustellen. Menschen sollten sich stattdessen selbst gegenseitig porträtieren. Seine Vorgabe dabei: Jeder soll seinem Gegenüber mit der Kamera sehr nah kommen und es sollte ein tiefes Interesse an dem jeweils anderen deutlich zu spüren sein.


Ohne Drehbuch und Filmschnitt

Henke nahm Kontakt mit den Gelsenkirchener Werkstätten auf, dort wurde das Projekt vorgestellt, wer Lust hatte, konnte sich melden und mitmachen. Dann wurde nach nicht behinderten Filmpartnern Ausschau gehalten. Das war gar nicht so einfach. Offenbar hielt so manchen, der angefragt wurde, doch eine gewisse Scheu vor dem Unbekannten davon ab. Schließlich waren aber drei Freiwillige gefunden und es konnte losgehen.

Der Clou dabei: Die beiden Teilnehmer wissen recht wenig vom jeweils anderen. Der Schirmherr der Gelsenkirchener Meta-Porträts, Superintendent Heiner Montanus, ist von dem Projekt angetan. „Mitarbeiter der Gelsenkirchener Werkstätten begegnen anderen Bürgerinnen und Bürgern aus Gelsenkirchen. Und das ziemlich unvorbereitet. Das heißt, die wissen vorher lediglich, ich besuche jemanden an seinem Arbeitsplatz, die kennen den Namen und die wissen jeweils mein Gegenüber wird behindert sein bzw. ist nicht behindert.“ Fertig, das ist schon alles. Dann wird gefilmt, ohne Schnitt, ohne Drehbuch, ohne andere Absprachen. Eines dieser Teams waren Steven Benninghoff und Propst Markus Pottbäcker.


Gemeinsame Themen entdecken

Was darf man dann eigentlich so alles fragen, darf man den behinderten Menschen zum Beispiel fragen, ob er sich manchmal wünscht, ohne diese Behinderung zu leben? Die Antworten auf all diese Fragen? Überraschend einfach! Sie zeigen, wie Menschen mit ihrer Behinderung oder mit ihrer Nichtbehinderung leben. Dabei tauchen ganz viele gemeinsame Themen auf, etwa, wie ist es, wenn man sich verliebt, wo ist mein Platz im Leben, wo ich mich sicher fühle?

Nicht auf die Unterschiede sondern auf das Gemeinsame, das Verbindende sollte viel mehr geschaut werden. Das ist wohl die zentrale Botschaft dieses ungewöhnlichen Filmporträts. „Hier sitzen quasi zwei Menschen in einem Boot“, sieht Henke das Verbindende dabei.


Wieviel verdient ein Pfarrer?

Heraus gekommen sind spannende und dichte Porträts. Die jeweiligen Partner haben sich dabei sehr intensiv kennen gelernt. So bildeten Markus Pottbäcker und Steven Benninghoff solch ein Filmduo. Pottbäcker, Propst und Stadtdechant der Katholischen Kirche in Gelsenkirchen, wusste von Steven lediglich, dass er in den Gelsenkirchener Werkstätten arbeitet. Als Zuschauer wird man nun quasi mitgenommen, lernt dessen Arbeitsplatz an einer Nähmaschine kennen. Lernt einen jungen Mann kennen, der schon viel durch gemacht hat und trotz vieler Einschränkungen eine große Dankbarkeit zeigt. Das hat auch Pottbäcker schlicht umgehauen, erinnert sich Henke.

Und dann dreht sich das Verhältnis der beiden Protagonisten um. Jetzt lässt sich Steven Benninghoff die Arbeitswelt von Propst Pottbäcker zeigen, nimmt wiederum die Zuschauer mit und lässt sie aus seinem Blickwinkel auf den Porträtierten schauen. Und stellt ohne Scheu ganz direkt die Fragen, die ihn an seinem Gegenüber interessieren: „Wieviel verdient man eigentlich als Pfarrer?“ Aber er möchte auch wissen, was einem Propst mal sehr nahe gehen kann, der Tod von Kindern? 


Neue Beziehungen entstehen

Neben diesem Filmpaar stehen Schalke-Legende Martin Max und Matthias Bohm, Gründer des Mode-Startups Grubenhelden, mit je einem behinderten Partner vor und hinter der Kamera. Insgesamt drei Doppelporträts, die die Vielfalt unterschiedlicher Lebensentwürfe zum Ausdruck bringen.

Die Grundidee, die Thomas Henke dabei antrieb, ist ein intensiver frei gestalteter Austausch zwischen unterschiedlichen Persönlichkeiten innerhalb des Mediums Film, Menschen sollen dabei miteinander in neue Beziehungen zueinander kommen können. So porträtierten sich in diesem seit 2011 laufenden Projekt schon mal Mutter und Sohn, ehemaliger Stasi-Mitarbeiter und Stasi-Opfer, Patient und Psychiater.


Wegen Corona erstmals im Web

Gezeigt werden sollen diese Filme in einem Kunstkontext, vielleicht im Museum, auf jeden Fall in speziell dafür möglichen Räumen. „Die Porträts sind nicht für die Masse gedacht, schließlich sind sie ja auch etwas sehr Persönliches“, ist Henke wichtig. Da das dank Corona wohl noch längere Zeit nicht möglich ist, wurde mit den Gelsenkirchener Filmporträts erstmals der Weg übers Internet gewählt. Und vielleicht auch bald in einer Gelsenkirchener Kirche gezeigt. „Kirche ist bei all meinen Projekten Kulturpartner. Die Offenheit für existentielle Fragen und auch, wenn es um Menschen mit Behinderung geht, spielt Kirche eine ganz wichtige Rolle!“

Hier geht es zu den Gelsenkirchener Filmporträts.